: Endlager-Debatte sinnlos ohne ein Ausstiegskonzept
Das weltweit ungelöste Problem der Endlagerung atomaren Mülls ist seit gestern Thema eines Hearings in Braunschweig. Es sollen Kriterien für eine möglichst sichere Endlagerung nach dem Ausstieg aus der Atomenergie entwickelt werden.
Die Gegner der Endlager Schacht Konrad und Morsleben machten den Anfang: Mit dumpfen Paukenschlägen zogen sie in den großen Saal der Stadthalle Braunschweig ein und plazierten das größte ihrer Transparente vor der niedersächsischen Umweltministerin, die gerade das internationale Endlager-Hearing eröffnete. „Beim Atommüll keine Kompromisse – Raus aus der Atomenergie“, verlangten sie und hatten auf dem grünen Transparent die Namen der Endlager Gorleben, Morsleben, Konrad und Asse II einfach durchgestrichen. Monika Griefahn, die dreihundert Teilnehmer, Endlagerfachleute aus vierzehn Ländern, zu begrüßen hatte, erwiderte, sie teile die Befürchtungen der Endlagergegner.
„Klar“ war gestern für die Umweltministerin im rot- grünen Kabinett von Hannover, daß „nach dem Ausstieg aus der Nutzung der Atomenergie der Atommüll so sicher wie möglich gelagert werden“ müsse. Den Ausstieg, der jetzt so schnell wie möglich vollzogen werden müsse, nannte sie eine „unabdingbare Voraussetzung“ für die Endlagerung und machte sich damit eine alte Forderung der Anti-AKW- Bewegung zu eigen. Atomkraftwerke seien die „Dinosaurier“ der Energieerzeugung, und ihre Tage seien gezählt. Die Zukunft liege in kleinen, anpassungsfähigen und effizienten Einheiten.
Das Hearing in Braunschweig soll Kriterien für eine möglichst sichere Endlagerung nach dem Ausstieg entwickeln. Drei Tage lang wird auf höchstem wissenschaftlichen Niveau über „geeignete Grenzwerte“, über „Geologische Barrieren“, über „Standortvorauswahl“ und „Eignungsnachweis“ diskutiert. Gleichzeitig wird eine Bilanz der Endlagerforschung gezogen – auch jene Bilanz der Endlagerprojekte, die in Monika Griefahns Worten lautet: „In keinem Land der Erde gibt es ein funktionstüchtiges sicheres Endlager für hochradioaktiven Abfall.“ In der Bundesrepublik habe man im Jahre 1977 Gorleben als Standort benannt, mit dem Ziel, dort bis zum Jahre 1991 ein Endlager für alle Abfallarten zu schaffen. Heute wollten selbst die Betreiber das Endlager Gorleben erst im Jahre 2008 für Abfälle öffnen. Doch die Landesregierung habe sehr viele Anzeichen dafür, daß der Standort Gorleben nicht geeignet sei. Zudem befinde sich ein großer Teil des Salzstocks in Privatbesitz. Deshalb sei es notwendig, alternative Standorte zu untersuchen.
Die AKW-Gegner legten in Braunschweig jedem Teilnehmer einen kleinen Holzquader auf den Tisch, als Symbol für jene 150 Kubikzentimeter Atommüll, den die bundesdeutsche Atomindustrie jährlich pro Einwohner produziert und bisher auf unabsehbare Zeit zwischenlagert. „Allein die in Deutschland betriebenen Kernkraftwerke erfordern ein Endlager in der Größenordnung von einer Million Kubikmetern Hohlraum“, sagte in seiner Eröffnungrede der Physiker Ernst-Ulrich von Weizsäcker, der das Hearing moderiert. Wenn man fortfahre, neue Atomkraftwerke zu bauen, werde man mit einem Endlager keineswegs auskommen. Deswegen sei die Diskussion über ein geeignetes Endlager dringend mit einem Ausstiegskonzept zu verbinden, sagte von Weizsäcker auch mit Blick auf die Konsensgespräche zwischen Politik und Atomwirtschaft.
Es waren die niedersächsischen Grünen, die in den Koalitionsverhandlungen einst der Landesregierung das internationale Endlager- Hearing aufgaben. Heute allerdings gilt den Anti-AkW-Initiativen und Umweltverbänden das Braunschweiger Hearing als „Alibiveranstaltung“. In einer gemeinsamen Erklärung warfen sie der Landesregierung vor, mit dem Hearing „Akzeptanz für die Endlagerung des Atommülls und damit auch für seine weitere Produktion“ zu schaffen, und entsandten in die Veranstaltung nur einige Beobachter. Solange AKWs betrieben würden, könnten keine endgültigen Aussagen über Zusammensetzung und Menge des endzulagernden Atommülls getroffen und somit auch keine Kriterien für die Endlagerung festgelegt werden. Erst nach dem Abschalten wollen sich die AG Schacht Konrad, die BI Lüchow-Dannenberg oder auch Greenpeace an einer Diskussion über den Umgang mit Atommüll beteiligen. Stein des Anstoßes der BIs und Umweltverbände sind die Konsensgespräche, die immer noch zwischen Bundesregierung, SPD und Energieversorgungsunternehmen geführt werden. Nach Auffassung von Greenpeace zeichnet sich in diesen Gesprächen „hinter den Kulissen unabhängig von jeglichen Sicherheitskriterien ein politischer Deal über die Realisierung der Endlagerprojekte Gorleben und Schacht Konrad ab“. So habe die SPD ernsthaft über den Vorschlag von Bundesumweltminister Töpfer verhandelt, die Arbeiten am Endlager Gorleben bis zum Jahre 2005 auszusetzen, wenn im Gegenzug Schacht Konrad und auch weitere Zwischenlager zügig genehmigt würden.
Der Sprecher der BI Lüchow- Dannenberg warf gestern in Braunschweig namentlich Gerhard Schröder vor, mit einem Moratorium für Gorleben bis zum Jahre 2005 zu liebäugeln, um gleichzeitig Akzeptanz für ein Dauerzwischenlager im Wendland zu schaffen. Tags zuvor hatte der niedersächsische Ministerpräsident noch dementieren müssen, daß er in einem Gespräch mit den bayerischen Politikern Stoiber und Gauweiler auch dem Bau eines neuen Reaktortyps seine Zustimmung gegeben habe. Der grüne Landtagsabgeordnete Kempmann hatte Schröder gar davor gewarnt, durch falsche Wege bei der Konsenssuche die Koalition in Hannover in Gefahr zu bringen.
Monika Griefahn sieht in der Endlagerung des Atommülls „ein Riesenproblem“, das sie aber bewältigen will. Nach dem Endlager- Hearing will sie die Standortdebatte neu eröffnet sehen. Anders als in den siebziger Jahren sollen nun aber vorab die Kriterien festgelegt werden. Genau diese Standortdebatte, die auch der endgültige Abschied von Gorleben wäre, will der Bundesumweltminister aber keinesfalls. Alle Endlagerexperten aus seinem Geschäftsbereich blieben dem Hearing fern, und auch im Ausland wurde die Empfehlung ausgesprochen, doch lieber nicht nach Braunschweig zu reisen. Jürgen Voges, Braunschweig
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