■ Tokios Bürger verteidigen ihre Privatsphäre:: Stunk um transparente Müllsäcke
Tokio (AFP/taz) – Noch schützt die schwarze Farbe der Müllbeutel in der japanischen Hauptstadt die Abfälle vor den neugierigen Augen der Nachbarn – nach dem Willen der Stadtverwaltung hätten sie ab Freitag durchsichtigen Plastiksäcken weichen sollen. Liebesbriefe, Bankauszüge, Schulhefte, Verpackungen von Medikamenten, erotische Magazine – all das hätte offen zutage gelegen und den Klatsch im Viertel angeheizt. Und auf diese indiskreten Müllsäcke hätten die Bürger auch noch ihren Namen schreiben müssen! Einen solchen Zugriff auf ihr Privatleben konnten die Tokioter nicht hinnehmen. Sie übten sich im zivilen Ungehorsam – eine für japanische Verhältnisse eher seltene Tugend. Am Freitag morgen waren die umweltfreundlichen Müllbeutel zwischen Bergen der üblichen schwarzen Säcke nur vereinzelt zu entdecken.
Die Prominenz hatte die Bürger in ihrem Protest tatkräftig unterstützt: Showstars, Sumo-Champions, Baseball-Stars und Oppositionspolitiker taten ihre Entrüstung öffentlich kund. „Die Stadtverwaltung will die Bürger kontrollieren, weil sie kein Vertrauen zu ihnen hat“, tadelte das Tokioter Büro der Kommunistischen Partei Japans. Daß jeder seinen Namen daraufschreiben müsse, sei furchtbar. „Das ist eine Verletzung des Privatlebens“, empörte sich Remi Hirano, eine bekannte Sängerin aus Tokio. „Ab morgen werden alte Frauen in den Müllsäcken herumwühlen, um alles über ihre Nachbarn herauszubekommen“, befürchtete eine junge Hausfrau.
Die Stadtverwaltung mußte sich bei ihrem Vorstoß für eine umweltfreundlichere Müllentsorgung schließlich dem Volkszorn beugen. In Erwartung weiterer Proteste gewährte sie der Bevölkerung schon vor einigen Tagen eine Gnadenfrist von dreieinhalb Monaten, in der sie sich an die neue Müllverordnung gewöhnen sollten. Entgegen vorheriger Drohungen ließ sie durchblicken, daß auch die Müllsäcke ohne Namensaufschrift abtransportiert würden.
Dabei war das erklärte Ziel der Aktion durchaus lobenswert: Die Stadtverwaltung wollte verhindern, daß sich die Mitarbeiter der Müllabfuhr an Glasgegenständen verletzen. Auch sollte die Bevölkerung so gezwungen werden, sich an die schließlich seit 1973 geltende Regelung zu halten, nach der zur Verbrennung bestimmte Abfälle in getrennten Säcken entsorgt werden müssen.
Am 15. Januar soll die Verordnung endgültig in Kraft treten. Und die Bürger der Hauptstadt überlegen schon, wie man die Gefahr abwehren könnte. Eine einfache und kostenneutrale Lösung ist ihnen auch schon eingefallen: Der Müll wird in undurchsichtigen Plastiksäcken gesammelt, die von Kaufhäusern verteilt werden. Die Säcke werden dann in den durchsichtigen Müllbeuteln verstaut.
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