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„Da habt ihr ja fleißig gefuhrwerkt“

Vier Jahre Haft für einen katholischen Pfarrer wegen Kindesmißbrauchs / Die Diözese Augsburg vertuschte jahrzehntelang die sexuellen Aktivitäten des Gemeindehirten  ■ Aus Augsburg Klaus Wittmann

„Also, daß die so lügen, hätte ich nicht gedacht“, sagt eine ältere Dame aus der 650-Seelen-Gemeinde Gundelsdorf im Landkreis Aichach-Friedberg. Sie ist, genau wie andere Prozeßbeobachter, wütend darüber, daß ihre Kirchenoberen so eine unrühmliche Rolle spielen in diesem Strafprozeß. Vor Gericht muß sich seit einer Woche der 64jährige Pfarrer Josef K. wegen sexuellen Mißbrauchs Minderjähriger verantworten. Ihm wird vorgeworfen, ein damals zwölfjähriges Mädchen mit Meßwein und einem Beruhigungsmittel betäubt und sich anschließend an ihr vergangen zu haben.

„Der hat, als ich eingeschlafen war, Nacktfotos von mir gemacht und gesagt, er zeigt sie meiner Mutter, wenn ich nicht immer wieder mit ihm schlafe“, sagte die heute 24jährige, verheiratete Frau vor Gericht aus. Und Pfarrer K. gab auch zu, Aktfotos gemacht und mit der Zeugin immer wieder geschlafen zu haben. Es sei aber alles freiwillig und außerdem das Mädchen damals bereits 14 Jahre alt gewesen.

Das Alter war in diesem Prozeß die alles entscheidende Frage. Denn allein unter der Voraussetzung, daß K. nachgewiesen werden konnte, daß das Opfer damals unter 14 Jahre alt war, konnte er verurteilt werden. Ansonsten wäre es „nur“ ein Fall von Verführung Minderjähriger, und der wäre bei einer Verjährungszeit von drei Jahren heute nicht mehr strafbar gewesen.

Das Gericht befand gestern Pfarrer Josef K. für schuldig, 1981 die damals zwölfjährige Juliane sexuell mißbraucht zu haben, und verurteilte ihn zu einer Haftstrafe von 4 Jahren, ein halbes Jahr mehr, als die Staatsanwaltschaft beantragt hatte. Die Jugendstrafkammer hielt es für erwiesen, daß das Opfer von Pfarrer K. zum Zeitpunkt des ersten Geschlechtsverkehrs noch keine 14 Jahre alt war. Entsprechende Angaben des Pfarrers wertete Richter Hans Hanne in seiner mündlichen Urteilsbegründung als Schutzbehauptungen des Angeklagten. Die damals Zwölfjährige habe keine Möglichkeit gehabt, sich vom Angeklagten zu lösen. Ihr Vater sei schwer krebskrank und der Bruder behindert gewesen, was für die Mutter eine erhebliche Belastung dargestellt habe. In einer solchen Situation war ein offenes Gespräch mit ihr nicht möglich. Außerdem stimmte das Gericht der Zeugin zu, daß man ihr wohl im Dorf nicht geglaubt und sie möglicherweise als Lügnerin hingestellt hätte. „In so einem kleinen Dorf kommen der Pfarrer und der Apotheker doch gleich nach dem lieben Gott.“ Daher sei es besonders verwerflich gewesen, daß der Pfarrer nicht nur seine besondere Fürsorgepflicht verletzt, sondern auch das in ihn gesetzte Vertrauen schändlich mißbraucht habe. Der Verteidiger von Pfarrer K. kündigte noch im Gerichtssaal an, er werde Revision einlegen.

Was den Prozeß spannend machte, war die Rolle der Kirche in diesem Verfahren. So standen der Priesterseelsorger Theo Schmidkonz und Generalvikar Eugen Kleindienst vor den Richtern der Jugendstrafkammer und versetzten mit ihren Aussagen nicht nur die Zuhörer in ungläubiges Staunen, sondern brachten auch den Vorsitzenden Richter Hans Hanne mehrfach in Rage. Wann und was wußten die Vorgesetzten des Angeklagten von dessen Verfehlungen, war die Frage.

In der Allgäuer Gemeinde Trauchgau, wo der Angeklagte von 1966 bis 1979 tätig war, sollen von dem katholischen Pfarrer mindestens sieben Mädchen sexuell belästigt worden sein. Eine Nonne hat nach den Worten von Gemeindebürgern die Verfehlungen ans Bischöfliche Ordinariat gemeldet. Doch Generalvikar Eugen Kleindienst will nie etwas davon gehört haben.

Das sei vor seiner Amtszeit gewesen, und sein Vorgänger sei nun mal schon vor einigen Jahren verstorben. Erst später, so Kleindienst, habe es „einen Erkenntniszuwachs gegeben“.

„Es war mir nicht bekannt, daß der Angeklagte strafversetzt wurde von Trauchgau nach Gundelsdorf. In den Personalakten habe ich keine besonderen Gründe für die Versetzung gefunden“, hatte der Generalvikar zunächst ausgesagt.

Als ihm dann Richter Hanne aber just aus diesen Personalakten eine Notiz seines Vorgängers vorhielt, aus der die sexuellen Verfehlungen eindeutig hervorgehen, klang das beim Generalvikar plötzlich so: „Ich habe mir die Personalakten vor dem Gespräch nicht angesehen.“ Der Richter schüttelte den Kopf, merkte an, das sei schon verwunderlich, wenn nicht gar unwahrscheinlich. Schließlich hat es sich bei dem Gespräch, von dem die Rede ist, um eine dienstliche Anhörung des Pfarrers Josef K. gehandelt, wegen dessen „nichtpriesterlicher Lebensweise“.

Daß die hohen Kirchenherren, einschließlich des damaligen Augsburger Bischofs Josef Stimpfle, schon früher Angst vor einem Geständnis des sündigen Pfarrers hatten, geht aus der Aktennotiz des verstorbenen Generalvikars vom 31.8.79 hervor, die Richter Hans Hanne dem Zeugen Kleindienst vorhielt. Pfarrer K. wollte damals zu den bekanntgewordenen Verfehlungen von der Kanzel herab eine Stellungnahme abgeben, wurde aber vom Ordinariat davor gewarnt, „weil dies einem Schuldeingeständnis gegenüber der Staatsanwaltschaft“ gleichkäme und sich außerdem die Presse auf den Fall stürzen würde. Daß die Sorge der Kirchenoberen weit mehr dem „Unter-den-Tisch- Kehren“ als den Betroffenen galt, wurde auch in anderen Schreiben, die dem Gericht vorliegen, deutlich.

So gab 1987 Bischof Stimpfle in einem Brief Pfarrer K. den Rat, „im eigenen Interesse den Ablauf der dreijährigen Verjährungsfrist abzuwarten.“ Richter Hanne veranlaßte das zu der Bemerkung: „Da habt ihr ja fleißig gefuhrwerkt mit Verjährungsfristen. Es sind ja offenbar alle davon ausgegangen, daß das strafbar ist.“

Nach dem Bekanntwerden der erneuten Verfehlungen 1984 in Gundelsdorf wollte die Diözese K., gerade so, als sei nie etwas vorgefallen, in die Unterallgäuer Gemeinde Pleß versetzen. Doch da hatten die Herren in Augsburg die Rechnung ohne die Gläubigen gemacht. Die warnten auf Flugblättern und Plakaten vor dem Sexpfarrer. „Minderjährige Mädchen gehen hinein und kommen entjungfert wieder heraus“, hieß es in einem vom Gericht verlesenen Text.

Erst daraufhin reagierte man in Augsburg. Der Möbelwagen, der bereits zum Pfarrhof in Pleß unterwegs war, wurde ins Altenheim nach Memmingen umdirigiert. Danach folgte eine Bewährungszeit im bischöflichen Archiv und schließlich die Versetzung nach Niederbayern. Vom dortigen Generalvikar ist denn auch im März 1993, einen Tag vor seiner Verhaftung, Josef K. der Tip gegeben worden, doch ins Ausland zu gehen – vielleicht in eine frühere Pfarrei nach Südtirol.

Ein Tip, dem K. nicht folgte. Daß er überhaupt vor Gericht steht, hat er einigen anonymen Anrufen zu verdanken, die in letzter Zeit wieder das damalige Opfer, die heute 24jährige Frau, über sich ergehen lassen mußte und hinter denen sie Pfarrer K. vermutete.

Sie litt bis zu dem Tag, als sie Anzeige erstattete, unter den Folgen des sexuellen Mißbrauchs, wie ein Arbeitskollege der Frau vor Gericht aussagte. Mehrmals sei sie plötzlich zusammengebrochen, mußte der Notarzt geholt werden. Schon 1984 hatte eine heute 45jährige, eifersüchtige Frau aus Gundelsdorf, die mit dem Pfarrer ein Verhältnis hatte, die Vorgänge bei der Diözese angezeigt. Schließlich war auch ihre eigene Tochter von Pfarrer K. belästigt worden. Doch von der Diözese war der Vorgang nicht an die Polizei oder Staatsanwaltschaft gemeldet worden. Ermittlungen gegen die Kirchenleitung wegen „Nichtanzeigen einer Straftat“ wurden von der Staatsanwaltschaft vorübergehend eingestellt, um den Prozeßverlauf abzuwarten.

Jetzt könnten die Ermittlungen gegen die Kirchenleitung wieder aufgenommen werden. Generalvikar Eugen Kleindienst haben übrigens seine Erinnerungslücken vor Gericht bei seiner Karriere nicht geschadet.

Einen Tag nach seiner Zeugenaussage wurde er vom Augsburger Bischof zum Finanzdirektor der Diözese ernannt.

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