Clip-Ästhetik soll die Kürze würzen

■ Diskussion über politische TV-Magazine in Stuttgart: Trend zum Europudding

Sie heißen „Die Sendung mit dem Stier“, „Via Regio“, „Transit“ oder einfach „Euro“ – Fernsehmagazine, die über Themen aus Politik, Wirtschaft und Kultur in Europa berichten. Im Kampf um Zielgruppen und Quoten konzentrieren sich die Fernsehanstalten wieder auf ihre Informationsprogramme und probieren neue Inhalte und Formen aus.

Zur aktuellen Bestandsaufnahme hatte in der vergangenen Woche das „Haus des Dokumentarfilms“ (zusammen mit arte) zu einem „Europäischen Medienforum“ über TV-Magazine nach Stuttgart eingeladen, und 150 Praktiker, Wissenschaftler und Kritiker diskutierten an drei Tagen über journalistische Konzepte sowie formale und technische Trends am Beispiel von Ausschnitten aus hundert Fernsehmagazinen aus elf Ländern.

Magazine, im bundesdeutschen Programm inzwischen so zahlreich wie Serien, sollen den Sendern Profil verleihen, indem sie auf der Informationsschiene Platz für Hintergrundberichte, Kurzreportagen und Meinung bieten. In der Bundesrepublik wähnten sich die öffentlich-rechtlichen Sender mit ihren klassischen Politmagazinen (die Urform „Panorama“ existiert seit 1961) lange auf sicherem Grund. Inzwischen haben die aggressiven Infotainment-Veranstaltungen der privaten Konkurrenten wie „Explosiv“, „Der heiße Stuhl“, „Einspruch“ („TV-Volksgerichtshof“ urteilte Der Spiegel) einerseits, die postmodern gestylten Newcomer „Zak“ und „Stern TV“ mit ihren flapsig-frechen Moderatoren andererseits für Bewegung bei den Quoten gesorgt. Es ist vor allem eine formale Konkurrenz, denn inhaltlich haben ARD und ZDF mit ihrem weltumspannenden Korrespondentennetz und den Möglichkeiten des Programmaustauschs innerhalb der Europäischen Rundfunk-Union (EBU) vorerst noch die Nase vorn.

Mit den Europa-Magazinen haben die Programmverantwortlichen die Lücke zwischen den klassischen Auslandsmagazinen und den nationalen, innenpolitisch orientierten Magazinen geschlossen. Dieser Trend ist international zu beobachten, in Frankreich („Zapping Alice“) ebenso wie in Großbritannien („Europe Express“). Dank eines europaweit durchgesetzten Standards in der Aufnahmetechnik (Betacam) lassen sich die Magazinbeiträge unproblematisch austauschen und mehrfach verwerten.

Inhaltlich bewegen sich die genannten Beispiele in einem weitgesteckten Rahmen: Reports über Stolpersteine auf dem Weg zum vereinten Europa, über ethnische Konflikte oder die Lebensbedingungen in europäischen Regionen und Metropolen – oft von Journalisten aus den jeweiligen Ländern realisiert. Üblich ist, wie in allen Magazinsparten, die „parzellierte“ Form, monothematische Sendungen bleiben Ausnahmen. Formal- stilistisch herrschen Kurzbeiträge vor, deren manchmal armselige Bildersprache (Aktualitätsdruck und handwerklichem Unvermögen geschuldet) durch elektronische Nachbearbeitung zu einem an der Clip-Ästhetik orientierten Stil aufgemotzt wird.

Die besseren Beiträge in den Europa-Magazinen besitzen zumindest sprachlich eine individuelle Form. Sie sind sehenswert, weil sie sich pathetisch in (türkisch- kurdische) „innere Angelegenheiten“ einmischen, satirisch einen (deutschen) Staatschef als überheblichen Tölpel entlarven oder polemisch eine (gescheiterte) Olympia-Bewerbung unter historischen Gesichtspunkten bewerten.

Die Magazinitis macht auch vor dem anspruchsvollen deutsch- französischen Kulturkanal arte nicht halt, der sich zum wichtigsten Programm für (filmische) Dokumentationen in Europa gemausert hat: Zugunsten „größerer Aktualität“ wird eine tägliche Magazinleiste mit wiederkehrenden Rubriken eingeführt, die mit Beiträgen von 30 bis 90 Sekunden Dauer arbeiten wird, wie arte-Chefredakteur Peter Wien in Stuttgart mitteilte.

Wie man der Gefahr inhaltlicher wie formaler Beliebigkeit und drohendem Zuschauerverlust erfolgreich begegnet, dafür lieferten einmal wieder britische Fernsehjournalisten kreative Beispiele: John Samson („der Trick im Zeitalter der Programmflut besteht darin, die Unterhaltung mit ein bißchen Inhalt zu füllen“) gestaltet für Channel Four ein politisches Magazin („Free for all“), in dem Zuschauer als Autoren soziale Probleme aufgreifen, die gewöhnlich übersehen werden. Und Rod Stoneman, ebenfalls Channel Four, präsentierte – Achtung, Satire! – „Euro trash“: „Welche Gegenden in Europa man unbedingt vermeiden sollte“. Andreas Nowak