Durchs Dröhnland: Der Soundtrack zur Kapitulation
■ Die besten und schlechtesten, die wichtigsten und überflüssigsten Konzerte der kommenden Woche
Die selbstgewählte und fett aufs CD-Cover gesprühte Schublade ist verlockend: Jazzrap. Erfunden mit Sinn fürs Geschäftliche von Dave Doran, seines Zeichens in der Schweiz lebender Ire und bisher vor allem als Jazz-Schlagzeuger hervorgetreten – oder eben nicht. Doch das, was sich so plakativ an den doch recht lukrativen Zweig des HipHop anlehnt, da wo die Breakbeats zur Untermalung von Yuppieparties weichgespült werden, kurz HipHop- Jazz, ist eigentlich nur Funk. Zugegebenermaßen vor allem rhythmisch ein gutes Stück komplizierter, auch mit einigen Ausflügen in leicht experimentelle Jazz-Anleihen, aber in erster Linie halt Funk. Das ändert auch der eigens verpflichtete Rapper Eric Hill nicht wesentlich. Wundervoll bei Dorans Versuch ist allerdings die knöcherne, fast wie auf Stelzen daherkommende Spielweise. Grob und eckig, mit Kanten wird dem Funk, dem Jazz und dem Rap fast jede Eleganz gründlich ausgetrieben. Diese Eigenschaft dürfte ihm dann wohl auch den Auftritt in der Knitting Factory beschert haben. Immerhin hat Doran damit doch eine recht ehrliche kontinentaleuropäische Annäherung an schwarze Musik abgeliefert, denn jeder Ton spricht beredt von der schmerzenden Kopflastigkeit der Aneignung: Seht her, ich bin nicht schwarz, ich kann gar nicht schwarz sein, aber ich spiel's trotzdem. Und genau das hat dann auch seinen Reiz.
Wesentlich smoother dagegen Acoustic Art. Das Trio aus Piano, Schlagzeug und akustischem Baß (allesamt noch in der DDR hochschulgereift) spielt einen äußerst harmoniesüchtigen Jazz, dominiert vom Klavierspiel von Reinmar Henschke. Ein Kontrapunkt zu Dave Doran.
Am 15.10. um 22 Uhr im Franz, Schönhauser Allee 36-39, Prenzlauer Berg
Die Erfinder, Wahrer und Meister der eklig-schmierigen Reggae-Suppe UB 40 mutierten in Lichtgeschwindigkeit von sozial engagierten englischen Adapten der Klänge aus Jamika zu Absahnern im großen Stil. Was nicht so tragisch wäre, wenn ihr Reggae wenigstens was taugen würde. Statt dessen verklebt er einem mit seiner gnadenlosen Perfektion Hirn und Herz, und man wünscht sich allen Ernstes: Dann doch lieber zwei Stunden lang Langnese- Werbung.
Am 15.10. um 20 Uhr in der Deutschlandhalle, Messedamm, Charlottenburg
Diese fünf Herren haben ihren juvenilen Zeitvertrieb U-Bahn- Surfen glücklicherweise überlebt, sonst wäre uns eine der besten deutschen Gitarrenbands des Moments entgangen. Da das friesische Aurich allerdings keine Metro hat, mußten sich der zukünftige Gitarrist und der zukünftige Sänger beim Auswärtsspiel in Hamburg kennenlernen, um schließlich ihrer Band natürlich den Namen Subway Surfers geben zu können. Dann dauerte es noch bis zur dritten Platte, bis aus manchmal etwas ungelenk punkrockenden Anfängen endlich grandios flatternder Rock mit den einschlägigen Herzschmerzmelodien wurde. Und trug ihnen natürlich Kritik aus gewohnt konservativer Ecke ein. So als wäre ihnen das völlig egal, spielen sie weiterhin den Amirock, als hätten sie ihn selbst erfunden. Und genau diese lässige Souveränität, diese schon fast überhebliche Unverfrorenheit unterscheidet sie grundsätzlich von allen anderen deutschen Bands, die sich bisher an ähnlichem versuchten. Kein Respekt mehr, die Subway Surfers haben einfach erkannt, daß der US-Kulturimperialismus längst gewonnen hat. Sie spielen den Soundtrack zur Kapitulation, und der hört sich besser an als der größte Teil vom Widerstand.
Am 15.10. um 22 Uhr im K.O.B., Potsdamer Straße 157, Schöneberg
Hier sind sie wieder, unsere düsteren Freunde von der Friedhofsfraktion. Nette Menschen, die in ihrer Freizeit anstatt „Sportschau“-Gucken halt lieber schwarze Messen besuchen. Eine der wichtigsten Bands für den überzeugten Gruft ist und bleibt Christian Death. Und wie das mit Kult-Kapellen so ist, scheiden sich die Geister gar heftig. Verließ doch Sänger Rozz Williams (welch ein Name) Christian Death, um Shadow Project zu gründen. Es setzte natürlich die üblichen Namensstreitigkeiten inklusive Fanverwirrung, wer denn nun die Wahren und Echten seien. Vollends zur Verzweiflung konnte man getrieben werden, als Williams plötzlich wieder unter dem Namen Christian Death Platten machte, die aber schlecht waren. Nur ein teuflisches Spiel, um seine alten Mitstreiter zu diskreditieren, oder schlicht keine Zeit für den Schlußmix, wie Williams entschuldigend beteuert? Auch egal, denn für die meisten Schwarzgewandeten sind sowieso Shadow Project und ihr obskur fiesematentender Gruftrock das Letztgültige. Oftmals trötet oder schunkelt es unvermittelt, kracht und schabt im Hintergrund, dann plötzlich wieder eine Melodie, gar ein Song oder doch nicht. Williams macht es einem nicht leicht, aber immer noch hebt er sich wohltuend von der sonstigen Einheitssoße im Genre ab, vor allem weil er sich das Gesang geschimpfte Kindermördergedröhne verkneift, das alle anderen nötig haben, um die herbeigesehnte bedrohliche Atmosphäre zu schaffen. Shadow Project sind da wesentlich diffiziler, arbeiten oft eher mit den Möglichkeiten des Hörspiel als mit musikalischen.
Am 19.10. um 21 Uhr mit Project Skull of Caligari im Pfefferberg, Schönhauser Allee 176, Prenzlauer Berg
Industrial ist auch nicht mehr das, was es mal war. Seitdem fast jede durchschnittliche Hit-Band auf Müllteile einschlägt, verlegen sich die nach dem Extremen Suchenden wieder auf eher herkömmliche Instrumente und erreichen damit zusätzlich auch Metalfans, denen Geschwindigkeit nicht alles ist. Die französischen Treponem Pal stehen den Branchenführern Ministry da nicht viel nach. Die klassische Rockbesetzung wird mit Samples angedickt, die Stakkato-Rhythmen könnten härter nicht sein, der Gesang nicht angestrengter, die Gitarren kaum fieser, die Stimmung sicher nicht verzweifelter. Dabei sind sie im Gegensatz zu vielen Metallern und dem meisten klassischen Industrial-Material kein bißchen monoton. Unterhalb der großen fetten Dröhnung passieren jede Menge kleine Gemeinheiten, ohne die es wahrscheinlich einfach unerträglich wäre. Treponem Pal fangen da an, wo eigentlich alles längst zu Ende ist, und bestehen doch darauf, daß ihre Musik durch die Negativität erst zum positiven Denken führen kann. Und benannt haben sie sich nach dem Erreger der Syphilis.
Am 21.10. um 21 Uhr mit Syksy im Pfefferberg
Thomas Winkler
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