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Wie erwürgt man eine Marionette?

Das neue Südafrika will ein lästiges Relikt aus der Apartheidzeit loswerden: Die nominell selbständigen „Homelands“ / Im öden Lebowa beginnt die Operation Heimholung  ■ Von Bartholomäus Grill

Johannesburg (taz) – Bill ist ziemlich sauer. Da fährt der junge Amerikaner 12.000 Kilometer von Tennessee nach Transvaal, um beim Aufbau des neuen Südafrika zu helfen. Jetzt hängt er seit Wochen in Johannesburg herum und hat nichts zu tun außer Schokoladenkuchen à la St. Louis zu backen, den dann kein Schwein ißt. Wen würde das nicht trübsinnig stimmen?

Aber der Reihe nach. William „Bill“ Moore gehört zu den Amerikanern, die im Ausland etwas Sinnvolles tun. Er unterrichtet junge Schwarze in Geographie und Sport. Die Schule steht in Lebowa, in einem jener Schwarzenreservate, die das Burenregime „Homelands“ taufte. Dort fehlt es so ziemlich an allem, was der Mensch zur Selbstverwirklichung braucht. An ordentlichen Schulen zum Beispiel, an gut ausgebildeten Lehrern, an Fußbällen, Atlanten und Bunsenbrennern. Weil das so ist, und weil die Lehrer miserabel bezahlt werden, beschlossen sie zu streiken. Zunächst fand Bill die Sache in Ordnung – bis zu jenem Tag, an dem der landesweite Ausstand vorbei war. Die Lehrer von Lebowa nämlich streikten unverdrossen weiter. Und Bill mußte den nächsten Kuchen backen.

Die Kollegen hatten guten Grund: Sie warteten noch immer vergeblich auf ihre Septembergehälter. Wo sollte das Geld auch herkommen? In der Kasse Lebowas war kein einziger Rand mehr. Bill hätte bei Gelegenheit den kleinen Ramodike, seinen arrogantesten Schüler aushorchen sollen. Der hätte ihm vielleicht Hinweise geben können. Ramodikes Papa, der Chiefminister von Lebowa, hat nämlich 13 Luxuskarrossen zu Hause stehen, metallic goldene, grüne und dunkelblaue, allesamt mit Autotelephon, allesamt aus dem Hause Mercedes. Weil Mogobaya Nelson Ramodike ganz persönlich für ein hohes Verkehrsaufkommen im Bantustan sorgt, bekleidet er auch noch das Amt des Verkehrsministers. Dank der gesammelten Spitzenposten verdient der Mann mehr als Südafrikas letzter weißer Präsident Frederik W. de Klerk.

Natürlich haben auch die restlichen Kabinettsmitglieder, die Spezies und Vettern sowie die Staatsdiener kräftig abgezockt. 192 Chargen im Justizministerium gönnten sich erst neulich einen rückwirkenden Gehaltsausgleich von 73.000 Rand pro Nase. Jetzt hat es die politische Räuberklasse geschafft: Der Selbstbedienungsladen Lebowa ist bankrott. Das Konto des Homelands wurde um 722 Millionen Rand überzogen und die Goldmarie aus Pretoria, also die weiße Regierung, will es nicht mehr auffüllen.

Es sollte noch schlimmer kommen. Nachdem es die Parlamentarier Lebowas trotz leidenschaftlicher Zahlenspiele nicht geschafft hatten, das Budget für das laufende Haushaltsjahr zu verabschieden, marschierten im September Polizeitruppen aus Südafrika ein und stellten das Territorium unter Kuratel. Die finanzielle Oberaufsicht in Lebowa, hieß es, liege fortan bei Herrn André Fourie. Das ist der Minister für regionale und ländliche Angelegenheiten. Ihm fällt die ehrenhafte Aufgabe zu, einen Saustall auszumisten, den das Burenregime selber angerichtet hatte.

Besser als Al Capone

Mitten im Saustall, in der Hauptstadt Lobowakgomo, steht das Computerzentrum. Dort drangen die Polizisten ein, zogen den Angestellten die Stühle unterm Hintern weg und setzten auswärtige Fachleute drauf. Die Revisoren trauten ihren Augen kaum, als sie das papierne Chaos sahen: rätselhafte Zahlungsanweisungen und geflickte Gehaltslisten, dazwischen Blankoschecks. Und Bauaufträge, die nach dem Motto „Unser Homeland soll schöner werden“ an die jeweils höchstbietenden Firmen vergeben wurden. „Im Vergleich dazu sieht Al Capone wie der Lehrer in einer Sonntagsschule aus“, kommentierte Des King, der Direktor des südafrikanischen Bauunternehmerverbandes.

Mafia-Verhältnisse? Joseph Setati ortet die Gesetzesbrecher ganz woanders. Für Lebowas PR-Chef ist der Einmarsch der Südafrikaner nichts als ein kalter Staatsstreich. „Wir werden alles unternehmen, um sie wieder loszuwerden.“ Das dürfte im neuen Südafrika nicht leichtfallen. Denn all die jüngst verabschiedeten Übergangsgesetze, die das Land in eine Demokratie umwandeln sollen, gelten auch für die zehn autonomen oder „unabhängigen“ Bantustans. Wenn erst einmal die schwarz- weiße Regierung der Nationalen Einheit an der Macht ist, soll es sie nicht mehr geben.

Man muß in den Annalen Südafrikas bis zum Kapital „Große Apartheid“ zurückblättern, als das weiße Regime den diversen „Stämmen“ nach dem Prinzip der Rassentrennung Reservate einrichtete. Heraus kam ein Flickerlteppich aus bitterarmen Landstrichen, in denen die Leute zum Sterben zuviel und zum Leben zuwenig hatten. Die „Eingeborenen“ sollten nach ihrer Facon glücklich werden. Einige haben das ja auch geschafft, wie man an Lebowas Chiefminister Ramodike sieht.

Unterdessen haben sie sich an Macht und Reichtum gewöhnt. Verständlich, daß sie ihre Doudezreiche nicht mehr hergeben wollen. Chief Mangosuthu Buthelezi, der erzkonservative Alleinherrscher von KwaZulu, fordert Autonomie. Ooupa Gqozo, Chef der Ciskei, hat gleich ein neues Gesetz gezimmert, das ihm erlaubt, Wahlversammlungen von „Fremden“ in seinem Bantustan zu verbieten. Die weißen Herren werden also einige der Geister, die sie riefen, nicht mehr los. Die Sache ist um so kniffliger, weil sich diese Geister auch noch mit rechtsradikalen Buren zusammengetan haben, die unter lautem Kriegsgetrommel einen Volksstaat für Weiße fordern. Ein Ländle für jede Ethnie, das gäbe ein schönes neues Südafrika! Politikwissenschaftler gebrauchen dafür ein Wort von trauriger Aktualität: Balkanisierung.

Stimmvieh im Saustall

Dieses Szenario soll verhindert werden. Aber wie? Zunächst einmal die verwahrlosten Homelands wieder in die Republik Südafrika eingliedern. In Lebowa hat die Operation Heimholung begonnen, mit sanfter Gewalt, ganz vorsichtig, schließlich schielt de Klerks Nationale Partei auf das Stimmvieh in den Reservaten. Fünf weitere Arbeitsgruppen bereiten die Reintegration der übrigen selbstverwalteten Territorien vor: KwaZulu, Gazankulu, Qwaqwa, KwaNdebele und NaNgwane.

Die Abschaffung der sechs selbstverwalteten Homelands ist eine vergleichsweise einfache Aufgabe – Buthelezis KwaZulu ausgenommen. Man dreht ihnen kurzerhand den Geldhahn zu, entert die Verwaltung und übernimmt das Kommando. Schwieriger wird die Reintegration der sogenannten „unabhängigen“ Staatsreservate. Zwei – Transkei und Venda – werden freiwillig zurückkehren; zwei – Boputhatswana und Ciskei – weigern sich. Für diese Bantustans ist nicht Regionalminister André Fourie zuständig, sondern Außenminister Pik Botha. Ein absurdes Relikt aus Apartheidtagen.

Inzwischen erhielten in Lebowa 72.000 öffentliche Bedienstete ihre Gehälter. Die Revisoren aus Pretoria kämpfen sich derweil durch rätselhafte Papiergebirge. Bill unterrichtet wieder. Nur Chiefminister Nelson Ramodike schreit lauthals Zeter und Mordio. Korruption? Nepotismus? Lauter „teuflische Lügen“! Aber Ramodike junior, sein Bub, ist auffällig still geworden.

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