: Klinikskandal aufgedeckt: Kündigung
Weil sie ärztliche Kunstfehler angeprangert haben, wurden in Mindelheim im Allgäu zwei Oberärzte vom Landrat fristlos entlassen / Bürger sammeln Unterschriften ■ Von Klaus Wittmann
Mindelheim/Memmingen – 29 Fälle von ärztlichen Fehlleistungen des Chefarztes der Chirurgie haben zwei Oberärzte des Kreiskrankenhauses Mindelheim aufgelistet und an ihren Dienstvorgesetzten, den Unterallgäuer Landrat Hermann Haisch (CSU), weitergegeben. Sie taten dies auf ausdrückliche Aufforderung des Landrats hin. Zuvor hatten sie mehrfach vergeblich versucht, mit ihrem Chefarzt wegen der gravierenden Mißstände in der Chirurgie ein klärendes Gespräch zu führen. Die prompte Reaktion des Landkreischefs: fristlose Kündigung der Oberärzte. Um die ärztliche Versorgung der Patienten in der Kreisstadt sicherzustellen, mußte vom Augsburger Zentralklinikum und vom Krankenhaus im nahen Ottobeuren chirurgische Unterstützung angefordert werden.
Doch die Mindelheimer nehmen die ungewöhnliche Kündigung nicht unwidersprochen hin. Über 500 Bürger und Patienten haben sich inzwischen in eine Unterschriftenliste eingetragen, in der die Kündigungen mißbilligt werden. Zahlreiche Mitglieder der Stadtkapelle, der Freiwilligen Feuerwehr, viele niedergelassene Ärzte und Apotheker haben unterschrieben. Sie wollen sich mit den lapidaren Erklärungen des Landrates, selbst aktives Mitglied in der Stadtkapelle, nicht zufriedengeben.
Dieser hat die fristlosen Kündigungen damit begründet, daß durch das Verhalten der Oberärzte die Funktionsfähigkeit des Krankenhauses gefährdet worden sei.
„Ein ungeheurer und verleumderischer Vorwurf, der die Tatsachen auf den Kopf stellt“ ist das in den Augen der Gekündigten. In jüngster Zeit seien die Belegungszahlen der Chirurgie drastisch zurückgegangen. Nur noch zu zwei Dritteln seien die Betten ausgelastet. Immer mehr niedergelassene Ärzte hätten ihre Patienten entweder gar nicht mehr in die Klinik oder ausdrücklich an die beiden Oberärzte überwiesen.
Doch kurz nachdem zum 1. Januar dieses Jahres aus dem Krankenhaus Memmingen ein neuer Chefarzt berufen wurde, kam es zu den ersten Auseinandersetzungen in der Chirurgie. „Wir haben den Chefarzt mehrmals um ein konstruktives Gespräch gebeten“, erklären die beiden Oberärzte. Doch das sei ihnen verweigert, ihre Kritik immer wieder ignoriert worden. „Wir mußten reagieren, denn wir sind unserer beruflichen Moral und der ärztlichen Ethik verpflichtet und konnten nicht länger tatenlos zusehen, wie kranke Menschen zu Schaden kommen“, sagt Dr. Wolf-Dieter Eggert. Dies, zumal die Vorwürfe bei den vorgesetzten Stellen monatelang bekannt waren, ohne daß etwas geschah. Der Unterallgäuer Landrat freilich will von ärztlichen Fehlleistungen seines Chefarztes nichts wissen.
Die Überprüfung durch unabhängige ärztliche Sachverständige habe die Vorwürfe nicht erhärtet. Haltlos und verleumderisch seien sie. Und dann unterstellt der Landrat den beiden fristlos gekündigten Oberärzten noch, sie hätten wohl nur eine Retourkutsche gefahren, weil sie bei der Chefarztwahl nicht berücksichtigt worden waren.
Das wollen die beiden Chirurgen nicht auf sich sitzen lassen. „Hier soll auf üble Weise von schlimmen Mißständen abgelenkt und uns der Schwarze Peter zugeschoben werden, und zwar auf Kosten der Patienten“, erklärt Dr. Eggert. Kein Arzt würde einem anderen leichtfertig Kunstfehler vorwerfen. Die angebliche Sachverständigenuntersuchung bezeichnen die beiden gekündigten Chirurgen als nicht ausreichend. Zum einen seien sie zu den ganz konkreten Vorfällen, die sie gemeldet haben, gar nicht gehört worden. Zum anderen sei vom Landgerichtsarzt in Memmingen kein Gutachten, wie vom Landrat behauptet, sondern lediglich eine vorsichtig formulierte Stellungnahme abgegeben worden. Mehr sei auch nicht möglich gewesen, wenn der Landgerichtsmediziner in drei Tagen 435 Aktenstücke überprüfen müsse, erklärten die Oberärzte in einer Stellungnahme der taz gegenüber. Eine tatsächliche gutachterliche Überprüfung sei unumgänglich.
Vielleicht wird ein Unfall mit tödlichen Folgen diese Überprüfung auslösen. Nach unseren Recherchen ist bei einem Verkehrsunfall im Februar 1993 der Beifahrer eines PKW an Niere und Milz schwer verletzt worden. Doch obwohl bei der Einlieferung in das Mindelheimer Krankenhaus sein Zustand vom Hausarzt als stabil bezeichnet worden war, verstarb der Mann nach mehreren Operationen. Sollte nun der Unfallfahrer, der mit einer Anzeige wegen fahrlässiger Tötung rechnen muß, eine Überprüfung der Todesursache fordern, dann müßten Gutachter klären, ob das Unfallopfer an chirurgischen Kunstfehlern oder tatsächlich an den unmittelbaren Unfallfolgen gestorben ist.
Aussagen zu diesen Vorgängen sind weder vom Chefarzt der Mindelheimer Klinik, der an den Landrat verweist, noch von diesem, aber auch nicht von den beiden Oberärzten zu bekommen. Und auch die Versicherungsgesellschaft des Unfallfahrers will dazu keine Angaben machen.
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