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Ein Ausländer ist ein Aristide-Sympathisant

Am vergangenen Samstag sollte Präsident Aristide nach Haiti zurückkehren / Statt dessen feiern auf den Straßen seine Gegner / Rechte Parteien fordern Aristides Rücktritt  ■ Aus Port-au-Prince Ralf Leonhard

Jubelstimmung vor der Bar „La Normandie“, dem inoffiziellen Hauptquartier der rechtsextremen „Front für die Aktion und den Fortschritt Haitis“ (FRAPH). Zu den blau-roten Nationalfahnen kommen mit fortschreitender Stunde auch die scharfen Alkoholfahnen. Die Männer mit den finsteren Blicken, manche mit Uniformteilen bekleidet, machen aus ihrem Herzen keine Mördergrube. Für sie ist der 30. Oktober, der Samstag, an dem der vor zwei Jahren weggeputschte Präsident Jean- Bertrand Aristide nach Haiti zurückkehren sollte, aber nicht kommen konnte, ein Festtag.

Singend, trommelnd und mit dem Bild des vor achteinhalb Jahren gestürzten Diktators Jean- Claude Duvalier ziehen sie durch die Straßen. „Wir wollen Aristide nicht, wir wollen Demokratie“, so lauten die Statements, die sie den Journalisten aufgebracht ins Mikrophon brüllen. Jeder Ausländer ist für sie ein Sympathisant des gestürzten Präsidenten und daher unerwünscht. Wie es weitergehen soll, kann sich keiner genau vorstellen. Neuwahlen, Militärherrschaft, Übergangsjunta, ganz egal. Hauptsache Aristide, der vor drei Jahren mit 67 Prozent der Stimmen gewählt wurde, bleibt weg.

Kaum zwei Kilometer entfernt findet eine ganz andere Manifestation statt. Eine Gruppe von über 20 Aktivisten aus den USA, Mitglieder von Kirchengruppen, Flüchtlingshilfeorganisationen und Rechtsberatungsbüros, haben vor der Sacre C÷ur-Kirche Aufstellung genommen und singen „We shall overcome“. Unweit der Stelle, wo Mitte Oktober Justizminister Guy Malary von einem Killerkommando abgefangen und massakriert wurde, beten sie für den Frieden in Haiti. Sie sind angereist, um bei Aristides Rückkehr dabei zu sein und mußten nun das Scheitern der Demokratisierungsversuche miterleben. „Der heutige Tag muß der Ausgangspunkt für die Demokratisierung sein“, heißt es in ihrer Erklärung.

So ähnlich stellen sich das auch die Diplomaten vor. Dante Caputo, der Sonderbeauftragte der UNO, hatte am Freitag eine neue Stellungnahme von Generalsekretär Butros Ghali verlesen. In diesem droht er mit einer Verschärfung der internationalen Sanktionen für den Fall, daß die Rückkehr des verfassungsmäßigen Präsidenten weiterhin verhindert wird.

Und auch der UNO-Sicherheitsrat hatte sich am Samstag noch einmal hinter Aristide gestellt. Die von der UNO verhängte Öl- und Waffenembargos sollen solange in Kraft bleiben, bis das über die Rückkehr Aristides geschlossene Abkommen erfüllt werde. Außerdem solle ein Resolutionsentwurf, der eine völlige Handelsblockade gegen Haiti fordert, noch in dieser Woche erörtert werden.

Das Ghali-Dokument, dessen Inhalt mit den diplomatischen Vertretern der vier „Freunde“ des Prozesses – USA, Frankreich, Kanada, Venezuela – abgesprochen wurde, geht ausdrücklich auf den Versuch einiger Parteien ein, Aristide formell für abgesetzt zu erklären und Neuwahlen auszuschreiben. Unmittelbar vor der Pressekonferenz Caputos hatte nämlich der ehemalige Gesundheitsminister des Diktators Duvalier, Hubert de Ronceray, als Sprecher einer Rechtskoalition erklärt, er würde Neuwahlen binnen 90 Tagen anstreben. Sollte Aristide bis Sonntag nachmittag nicht freiwillig zurücktreten, würden sie eine Übergangsregierung bilden — und dies auch Parlament beschließen.

Die rechtsradikale FRAPH, die mit etwa 300 Demonstranten durch die Stadt marschierte, ging soweit, die Verhaftung von Premierminister Malval zu fordern und die Übernahme der Macht im Laufe des Wochenendes anzukündigen.

Um derartigen Ereignissen zuvorzukommen, schickte Caputo umgehend Einladungen an die Regierung Malvals und an die Armeeführung, um in den nächsten Tagen schon einen neuen Kalender für die noch fälligen Schritte der Governors Island Vereinbarungen auszuhandeln. Die offenen Punkte betreffen die Rückkehr einer internationalen Beobachtermission, die aus Furcht vor dem Terror nach Santo Domingo geflüchtet ist. Weiteres muß endlich das Parlament zusammentreten, um das neue Polizeigesetz und die Amnestie für die Putschisten beschließen; dann soll der Rücktritt von Cedras und die Ernennung von neuen Chefs für Armee und Polizei erfolgen. Wenn das alles erfüllt ist, sind die Voraussetzungen für die Heimkehr Aristides, Punkt neun des Abkommens, gegeben.

„Diese Leute glauben, wenn der 30. Oktober vorbei ist, haben sie gewonnen“, meinte ein Diplomat in Anspielung auf die Militärs und deren paramilitärische Banden, „aber das Abkommen ist nicht tot“. Auch für Stanley Schrager, den Sprecher der US-Botschaft, hat die Armee „eine wichtige Schlacht gewonnen, aber nicht den Krieg“.

Ein Krieg, in dem die Militärs gegen den Rest der Welt kämpfen. Daß sich US-Präsident Bill Clinton nach seiner anfänglich schwankenden Position inzwischen eindeutig hinter Aristide und dessen baldige Rückkehr gestellt hat, wird in Kreisen der provisorischen Regierung in Haiti als positives Zeichen gewertet.

Doch die Straßen gehören noch den Anhängern der Diktatur. Am Freitag gelang es ihnen mühelos, den zweiten Generalstreik innerhalb von drei Wochen durchzusetzen. Anders als am 7. Oktober mußten sie nicht einmal mit massiver bewaffneter Präsenz in den Straßen nachhelfen. Die Gewehre sind längst in den Köpfen der eingeschüchterten Bevölkerung. Ein Geschäftsmann, der trotzdem aufsperren wollte, wurde kurzerhand erschossen. Auch die Nächte gehören den Aktivisten der FRAPH. Nach Einbruch der Dunkelheit verkehren fast nur noch Jeeps und Pritschenwagen mit bewaffneten Männern auf der Ladefläche. Und aus allen Richtungen hört man Schüsse. Erst wenn am Morgen die Leichen gezählt werden, weiß man, ob es sich nur um Freudenschüsse gehandelt hat.

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