: Dahinbluesen im jazzigen Soulgroove
Anything goes? – Something Else! Jazz in unsicheren Zeiten auf dem 30. Berliner JazzFest ■ Von Christian Broecking
Zum dreißigsten Mal hüstelten sich die Jazzfans am vergangenen Wochenende durch den Berliner Herbst. Das in die Jahre gekommene JazzFest lag zwar auch heuer wieder voll im Trend rückläufiger Besucherzahlen, lediglich die dreitägige Dancefloor-Party zum Fest im Berliner Tränenpalast war an zwei Tagen ausverkauft. Ein ermäßigter Disco-Paß sollte die HipHop-Kids vom etwas muffeligen Jazz-Rahmen ablenken und locken, und die 25- bis 40jährigen Steher strömten. Die eigentlich für dort anvisierte musikalische Begegnung zwischen den offiziellen Jazzern und den trendigen Youngsters blieb allerdings aus – die Zeiten der Jam Session wurden nicht wiederbelebt, und auch das Gerücht wurde nicht bestätigt, daß sich im Jazz-HipHop der Generationsvertrag zwischen Old und New School erfüllen würde.
„I'm an American Negro“, ruft der 55jährige Bandleader und Perkussionist Pucho in den Berliner Tränenpalast, während seine Hotelband sich auf höchst prominentem Boden durch lau aufgewärmte Herbie-Hancock- und Miles-Davis-Evergreens quält. Der Manager des mobilen New Yorker Tanzjazzclubs „Giant Step“, Jonathan Rudnick, garantiere für Direktimport und Markenware, hatte es von der Festivalleitung geheißen. Pucho erinnert sich. Harlem grenzt an Spanish Harlem, und richtige Soulbrothers verachten neben den obligatorischen Schweineinnereien einen mexikanischen Burger nicht. Keine Frage also, warum er seine Band Latin Soulbrothers nennt, und für jene Ahnungslosen, die sich schon verirrt glaubten, deutet er zum Groove vom Altern und Überleben auf sein neues T-Sirt, und die sechs Buchstaben darauf erinnern daran, weshalb man eigentlich kam: HipHop.
„I'm from Brooklyn, New York“, dichtet hingegen die als Jazzpoetress angekündigte Dana Bryant, die es binnen kürzester Zeit vom Gil-Scott-Heron-Voract zum Plattenvertrag bei Warner Brothers brachte und die ihrem Idol zwar noch glauben wollte, daß die Revolution nicht vom Fernsehen ausgestrahlt wird, nicht aber mehr, daß sie gar nimmer stattfinden werde. Es gäbe ja CDs, ruft Dana Bryant noch schnell in den Raum, falls man denn jene Lyrics entziffern wolle, wegen der sie eigentlich kam.
Auch die Kunst von Staats wegen hat ihre Tücken. So begann das offizielle JazzFest-Programm in der Berliner Philharmonie mit einem Act, der sich völlig in der Subventionsfalle verfangen hatte. Hier wurde das Remake einer Auftragskomposition geboten, welche – unter dem Titel „B.A.C.H.-A Brandenburg Concerto“ zum tausendjährigen Potsdam-Jubiläum jüngst gefertigt und aufgeführt – noch Sinn gemacht haben könnte; als Opener des JazzFests funktioniert dergleichen jedoch überhaupt nicht. Die Berliner Vielharmonie- Formation unter Leitung des Komponisten Frank Raschke durch ein Tanzstreichorchester und die Solisten Volker Grewe, Uschi Brüning und Ernst Ludwig Petrowsky zum über dreißigköpfigen Klangkörper aufgebläht, kam nicht über das Niveau eines eklektizistischen Promenadenorchesters hinaus und geriet somit zum Festivalflop des Jahres. Nur wenige hatten wohl erwartet, daß die Münchner Organistin Barbara Dennerlein diesen Abend hätte retten können. Sie war in der sogenannten Orgelschiene des Festivals plaziert und macht seit zehn Jahren bereits einiges Aufheben um ihre modifizierte Hammondorgel und ihr Fußpedal. Ihre „heißen Töne“ klangen aber eher wie für eine moderne Zahnartzpraxis bestimmt denn für jenen etablierten Konzerttempel. Auch der reine Hammondsound des Bluesers und Fußpedalmeisters Jimmy McGriff verlor sich irgendwie in der cleanen Weite. Aber Deplazierungen sind halt nicht auszuschließen. Und von einem Altjazzer wie McGriff, der die Gospelorgel seiner Kindertage auf verrauchten Clubbühnen populär machte, kann man nicht unbedingt erwarten, daß er dem Aufstieg des Jazz in die Sphäre öffentlich-rechtlicher Kunst Tribut zollt. McGriff, ein Vertreter des populären Jazz, bleibt von der gegenwärtigen Orgel-Renaissance unbeeindruckt und bluest lässig im jazzigen Soulgroove dahin, als wäre nichts gewesen.
Der 66jährige Dick Hyman, gut situierter Woody-Allen-Komponist mit Wohnsitz in New York und Florida und einstiger Pianist bei Benny Goodman und Lester Young, mimt Zustimmung; nichts Wesentliches habe sich während der vergangenen Jahrhunderthälfte im Jazz geändert, die vier Buchstaben seien immer noch nicht definierbar. Er huldigt an der Wurlitzer-Orgel im Musikinstrumentenmuseum Fats Waller zu einem imaginären Stummfilm, dessen Recyclebarkeitsdatum längst überschritten scheint. Daß die Pianistin Toshiko Akiyoshi mit ihrem beboppenden Orchester seit zwanzig Jahren ausschließlich eigene Kompositionen offeriert, ist als waghalsige Unternehmung im Zeitalter flug- und hotelpreisgerechter Sparformationen zwar höchst respektabel, mit einem müden Gähnen als Publikumsreaktion auf ihr Konzert war sie jedoch noch ganz gut bedient.
Die Carnegie Hall Jazz Band verblüffte hingegen mit einem Benny-Goodman-Revisited-Arrangement des Pianisten Jim McNeely und unter Leitung des Trompeters Jon Faddis; ein überzeugender Großversuch von Traditionsaufarbeitung. Der Sopransaxophonist Dave Liebman hatte in dieser Formation schon die melodiösen Klarinettensoli von Walt Levinsky und Bill Eastley mit viel Pausen kurz und schrill gekontert; am Abend darauf featurete ihn die ausgeschlafene WDR Big Band gleich eine ganze Suite lang. Beim verschlafenen JazzFest-Nachmittagsprogramm im Kammermusiksaal der Philharmonie gab die kanadische Sopransaxophonistin Jane Bunnett ein intimes Berlin- Debut, Steve Lacy zelebrierte seine Jazzmesse „Vespers“, der Butoh-Tänzer Mitsutaka Ishli kämpfte mit einem dunklen Ballon zur Musik von Peter Kowalds „Global Village“, und der japanisch-amerikanische Pianist Glenn Horiuchi beeindruckte bei seinem ersten Europa-Konzert mit seinem Shamisen Trio und seiner Komposition „Poston Sonata“, die die tabuisierte Geschichte der Internierung von Japan-Amerikanern in amerikanischen Konzentrationslagern zum Thema hat. Gänzlich abgefahren – und eigentlich außer Konkurrenz – gelang es dem britischen Freakorchester von Django Bates beim sonntäglichen JazzFest-Abschlußkonzert in der Philharmonie noch eben sein Versprechen einzulösen, Jazz habe etwas mit Spaß zu tun. Das tat dem Fest gut. Neben Thelonious Monks Füßen und dem behuteten Count Basie, die über die Monitore des Tränenpalastes flimmerten, fing die flüchtige Diaprojektion eines klassischen Ornette-Coleman-Plattencovers den Blick des Reporters – eine Annonce des nächsten JazzFests? –: Something Else!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen