„Sie haben Krebs“ - und das Leben danach

■ Vernichtende Diagnose wird vielen Frauen einfach „vor den Latz geknallt“     Von Paula Roosen

„Sie haben Krebs“. Mit dieser Äußerung beginnt für viele Patientinnen der Absturz ins Leere. Frauen fühlen sich bei der Bekanntgabe der Diagnose, als würden sie neben sich stehen. Wenig später beginnt das Herz zu rasen, die Knie zittern und eine innere Kälte breitet sich aus. „Es ist wie eine Verfinsterung des Lebens“, hat Thea Schönfelder im Umgang mit Krebspatientinnen beobachtet. Die Kinder- und Jugendpsychiaterin im Ruhestand setzt sich für eine stärkere Sensibilisierung der Mediziner ein, die die bestürzenden Krebsdiagnosen oft auf zusätzlich schockierende Weise überbringen.

Schönfelder berichtet von einem Stationsarzt, der sich stundenlang verleugnen ließ. „Die Patientin, selbst Medizinerin, mußte unnötig lange auf die Diagnose warten. Als das Fallbeil dann auf sie niedersauste, war sie fast erleichtert.“ Ein anderer, in diesem Fall ein chirurgischer Chefarzt, habe sich in sein Zimmer eingeschlossen, anstatt der Betroffenen den Magenkrebsbefund mitzuteilen. „Beim Wechsel einer Infusionsflasche kamen ihm vor den Augen der Patientin die Tränen. Da wußte die Frau Bescheid.“ Im Medizinstudium ist meist keine Rede davon, wie sich der Arzt verhalten soll, wenn er nicht mehr heilen kann - außer in psychologischen Zusatzveranstaltungen. „Und da wird auch nicht das heißeste Eisen angefaßt“, hat Thea Schönfelder erfahren, die ihre Beobachtungen auf dem jüngsten Krebs-Kongreß der „Kontakt- und Informationsstellen für Selbsthilfegruppen“ (KISS) in Hamburg vortrug. Ihre Forderung: Die Krebspatientinnen sollen die Diagnose auf angemessene Art mitgeteilt und nicht „vor den Latz geknallt“ bekommen.

Die „Frauenselbsthilfe nach Krebs“ in Poppenbüttel möchte die Frauen ermuntern, mit der Krankheit leben zu lernen. „Wenn jemand ein niederschmetterndes Untersuchungsergebnis mitgeteilt bekommen hat, kann sie sofort bei uns anrufen oder vorbeikommen“, sagt Helga Brietzke, die vor fünf Jahren die Idee für die Selbsthilfe hatte. Nach ihrer Erfahrung spricht sich der zu erwartende Schrecken einer Erkrankung bedeutetend schneller herum als positivere Beispiele nach einer erfolgreichen Behandlung.

„Ich war wie gelähmt“, erinnert sich eine Frau aus der Selbsthilfegruppe an den Tag, an dem sie von ihrer Erkrankung erfuhr. Die Aufklärung im Krankenhaus sei „gleich null“ gewesen. Gerade jüngere Frauen treffe der Krebsbefund oft vollkommen unvorbereitet. Manche würden das Untersuchungsergebnis verdrängen, andere in tiefe Depression versinken. „Ich wurde von der BfA in den Vorruhestand geschickt, weil die Krankheit auch meinen Rücken befallen hatte“, erzählt eine ehemalige Krankenschwester aus der Gruppe. Der Verlust des Berufs war ein zusätzlicher Schmerz für sie.

In den Gruppenabenden versuchen die Frauen, sich gegenseitig zu unterstützen und mit der Angst vor Metastasen oder dem Tod zu leben. Bei ihren wöchentlichen Treffen hören sie von Kuren, Behindertenausweisen und Behandlungsmöglichkeiten. Zum Beispiel, daß es außer Chemotherapie auch eine Heilmethode mit Misteln gibt. Fragen nach dem Anstieg der Leukozyten bei Leukämie oder der Operation von Eierstockkrebs können aus dem Erfahrungsschatz der Frauen beantwortet werden.

Es gibt Wanderungen und andere gemeinsame Veranstaltungen wie beispielsweise ein Vortrag über Schmerztherapie. Viele Hausärzte handhaben die Vergabe von Schmerzmitteln noch immer sehr restriktiv, obwohl die professionelle Schmerztherapie mit minimalen Morphiumdosen längst gute Erfolge erzielt. Die Selbsthelferinnen machen auch Hausbesuche bei Patientinnen, zu denen niemand mehr kommt - den Schwerstkranken und Sterbenden. Dadurch werden die Angehörigen entlastet.

Ihre Hauptaufgabe ist das Gespräch. „In den Familien möchte oft niemand das Thema Krebs mehr anschneiden. Die Frauen, die zu uns kommen, laufen oft über vor unausgesprochenem Kummer“, meint Helga Brietzke. Wer zu den Selbsthilfetreffen kommt, wird dennoch nicht zum Erzählen gezwungen. Eine Frau, die zwei Stunden lang dasitzt und weint, wird ebenso akzeptiert wie eine Gesprächsteilnehmerin.

Die Treffen finden immer mittwochsabends statt. Tagsüber ist das Büro im Poppenbütteler Weg 177 mit Frauen aus der Selbsthilfegruppe besetzt. Öffnungszeiten: Montag bis Donnerstag 10 bis 13 Uhr, Mittwoch 15 bis 17 Uhr, Telefon 606 39 82