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Seit 50 Jahren auf dem rechten Auge blind

■ betr.: „Mielke-Urteil: Mord vor 62 Jahren“, taz vom 27.10.93

[...] Man kann, darf und soll nicht vergessen, daß die deutsche Justiz eine der tragenden Säulen des nationalsozialistischen Verbrecherregimes war, daß alleine diese Justiz 30.000 Todesurteile gefällt und vollstreckt hat, 30.000 ungesühnte Morde! [...] Auf diesem Auge ist die deutsche Justiz jetzt seit fast 50 Jahren blind! Sie selbst hat soviel Dreck an ihren Roben und soviel Leichen im Keller, daß der Gestank unerträglich ist. Und dazu kommt dann die Weiterführung dieses NS-Prozesses gegen Mielke! Unfaßbar, unerträglich. [...]

Nicht, daß ich Mielke für unschuldig halte. Für den von ihm mit zu verantwortenden Terror und die Verbrechen im DDR-Staat gehört ihm der Prozeß gemacht. Daß ein 85jähriger nicht mehr in Haft gehört, ist eine andere Sache, bestätigt aber die Skrupellosigkeit und moralische Verkommenheit der deutschen Justiz anschaulich. Hier ist mir gut erinnerlich, daß NS-Ärzte, die Massenmorde begangen haben, 20 Jahre lang „verhandlungsunfähig“ waren, von Untersuchungshaft war da sowieso nie die Rede. In dieser Zeit betrieben die aber eigene Arztpraxen! Und erst nach Jahrzehnten und erst auf Druck der Medien und des Auslands wurden sie endlich vor Gericht gestellt und für Massenmorde an wehrlosen „lebensuntüchtigen“ Kindern mit zwei und drei Jahren Haft „bestraft“!

Kein Zweifel, die deutsche Justiz ist nicht nur moralisch verkommen, sondern auch heute noch ersichtlich zu nahezu jeder Sauerei fähig, vor allem dann, wenn man die Ermittlungen, Anklagen und Urteile zwischen Linken und Rechten, zwischen RAF und Umfeld und rechten Brandstiftern und Totschlägern vergleicht, von deren Haftbedingungen hier einmal ganz abzusehen.

Es bleibt zu hoffen, daß die Medien und die Weltöffentlichkeit gegenüber diesem Treiben wachsam und mißtrauisch bleiben. Rolf F. Meixner, Schwalmstadt

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