■ Rundum-Geständnis von Italiens Sozialistenchef: Craxi, die Petze!
Rom (taz) – Die Frage ist: Wie hat es nur so weit kommen können? Der Mann, der mehr als anderthalb Jahrzehnte seine Fühler immer im richtigen Wind hatte, den die Medien als fast unüberwindlichen „Leader“, die Karikaturisten gar als verbesserte Mussolini-Ausgabe zeichneten, hat in nur wenigen Monaten eine nahezu unfehlbare Fähigkeit zum Danebenhauen erworben.
Fast ein halbes Jahr hat Bettino Craxi, seit Mailänder Untersuchungsrichter seine sozialistische Partei mit bündelweisen Anklagen gegen Parlamentarier wegen Einsackens geradezu schwindelerregender Bestechungsgelder demontierten, die „Mir kann keiner“-Attitüde aufrechterhalten – bis ihn, Ende vorigen Jahres, die ersten (von mittlerweile zwei Dutzend) Ermittlungsbescheiden erreichten. Dann ließ er monatelang etwas von „Jokern“ verbreiten, die er, speziell gegen Chefankläger Antonio di Pietro, im Ärmel habe. Doch seine Anspielungen, früher als tödliche Waffe gegen seine Kritiker eingesetzt, zogen nicht mehr. „Selbst wenn Craxi dem Pietro reihenweise außereheliche Verhältnisse nachweisen sollte“, bemerkte der angesehene Leitartikler Giorgio Bocca, „werden die Italiener einen Teufel tun und an Craxis Unschuld glauben.“ Nachdem ihn seine Partei abgehalfert, das Wahlvolk den Stimmenanteil der Sozialisten auf ein Fünftel reduziert hatte, drohte der ehemals mächtigste Mann Italiens gar weinerlich in einem Interview mit Suizid, wenn man ihn nicht in Ruhe lasse – ein gefundenes Fressen für Satiriker aller Schattierungen. Der Abstieg ins nur noch Lächerliche hatte begonnen.
Das wiederum bemerkten alle – außer Craxi selbst. Und so hat er nun beschlossen, dem I noch ein Tüpfelchen aufzusetzen – zur Vorbereitung seines Comebacks ließ er über die wenigen noch Getreuen streuen, habe er beschlossen, eine Art Kronzeugenrolle in Sachen Parteien- und Unternehmerfilz zu übernehmen und „rückhaltlos über das Gesamtsystem der Korruption auszupacken“.
In zwei Vierstundengesprächen mit dem Staatsanwalt Di Pietro und einem dreiteiligen „Memoriale“ (das er inzwischen selbst stückchenweise veröffentlicht und sich gleichzeitig über „Indiskretionen“ entrüstet) brummelt er, daß „alle Parteien Geld genommen haben, auch die Opposition“ – welche Neuigkeit, gut dreihundert Parlamentarier fast aller Fraktionen stehen schon seit Monaten unter Anklage. Nächstes Kaninchen aus dem Enthüllungszylinder: Die Christdemokraten bekamen Geld aus Amerika, die Kommunisten aus der Sowjetunion – auch dies eine epochale Neuigkeit, es gibt alleine in Italien mehr als dreihundert Buchveröffentlichungen darüber.
Nun will er, hat er angekündigt, als eine Art Krönung seiner Aussagen auch noch Namen nennen – was in der Tat eine gewisse Neugier weckt. Denn mittlerweile sind sowieso längst alle noch lebenden Schatzmeister und Geschäftsführer der Regierungs- wie auch nahezu aller Oppositionsparteien (ausgenommen lediglich die erst in den letzten Jahren gegründeten Gruppen) angeklagt, ebenso die einschlägigen Parteichefs der letzten zwanzig Jahre. Auch seitens der Unternehmen hat es bereits alle großen Industriegruppen des Landes erwischt, von Fiat bis Olivetti. „Man kann es drehen und wenden, wie man will“, spottet der Fernsehsatiriker Beppe Grillo (den Craxi in seiner Zeit als Ministerpräsident wegen despektierlicher Bemerkungen über den PSI vom Bildschirm hatte verbannen lassen): „Was jetzt noch bleiben wird vom Massimo Lider des italienischen Sozialismus, ist das erhabene Bild – einer Petze.“ Werner Raith
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