: „Los, hau' ihm eins inne Fresse!“
■ „Wrestling“ in Alsterdorf oder eine Sportveranstaltung der besonderen Art Von Peter Behrend
In der Luft liegt ein Geruch von fettigem Pop-Corn. Wohlgenährte Kids laufen mit überschwappenden Cola-Bechern durch die Halle und treten sich gegenseitig in die Weichteile. Derweil vergnügen sich ihre Eltern an den zahlreich vorhandenen Bierständen in der Alsterdorfer Sporthalle. Die 6000 BesucherInnen sind mächtig hart drauf, scheuten weder Mühen noch Kosten (Karten bis 60 Mark) um heute abend zu sehen, wie sich dicke Männer „in die Fresse hauen“ – beim Wrestling, wie Catchen auf Neudeutsch heißt.
Zehn Kämpfer, darunter so knackige Kerle wie „Ric Flair“, „Maxx Payne“ oder die „Nasty Boys“ werden sich in den nächsten drei Stunden vor dem fanatisierten Pöbel gegenseitig bespringen und versuchen zu erwürgen. Nicht in echt natürlich, sieht aber ziemlich echt aus.
Pünktlich um 20.30 Uhr geht es los. Der amerikanische Moderator stellt sich und das Programm des Abends auf englisch vor. Fragende Blicke machen die Runde, „was willer?“, doch zum Glück kommt noch der deutsche Übersetzer und so haben auch die sechs Sachsen in der dritten Reihe die Möglichkeit zu verstehen, was hier heute abend Sache ist. „Jeder Kampf ist zeitlich limitiert, gewonnen hat, wer den Gegner drei Sekunden mit den Schultern auf den Boden pressen kann, allright?“ – Mit geschwungenen Ami-Flaggen und dem obligatorischen „Jetzt gehts lohos“ antwortet das gröhlenden Publikums.
Mutti schaut gierig auf die im Schritt ausgebeulte Hose des Catchers, während Vati sich das Bier in den Bart schüttet und seinen Favoriten mit „spiel ihm das Lied vom Tod“ anfeuert. Sohnemann kippt derweil seiner kleinen Schwester die Popcorn ins Gesicht.
„Reiß ihm den Arsch auf“ kommt es von hinten. Der zweite Kampf hat gerade begonnen. Im Ring steht ein Riesen-Fleischberg im hautengen schwarzen Dress, lange schmierige Haare hängen ihm ins Gesicht – sein Name ist Maxx Payne. Er ist derjenige, dem hier der „Arsch aufgerissen“ werden soll, denn er ist in diesem „Fight“ der Buhmann. Sein Gegner, ein solariumgegerbtes dunkelblondes Muskelpaket namens „Johnny“ steht dagegen eindeutig in der Gunst des Volkes. Vor allem bei den Frauen, die jedes Mal aufjaulen, wenn der Schönling von dem Klopps einen Klapps bekommt.
Aber „Johnny“ – im pink-farbenen Lendenschurz, mit passenden Söckchen – hat es schwer, denn soeben hat sich Maxx mit seinen 200 Kilo auf ihn gesetzt. Wer nun damit rechnet, daß dieser Angriff unweigerlich den Tod von Johnny nach sich ziehen muß, sieht sich getäuscht. Johnny überlebt, und nach zwanzig Minuten darf er sogar als strahlender Sieger unter dem Beifall des Volks dem Ring entsteigen.
Jeder einzelne Schlag, jeder Griff, jeder Sprung von den Eckpfeilern des Ringes auf den am Boden wimmernden Gegner, alles ist einstudiert und Teil der Choreographie dieser Show. Der Gewinner jedes „Fights“ steht schon von Anfang an fest. Es ist natürlich das „Gute“, das bei dieser Inszenierung über das „Böse“ triumphieren muß. Die Rollen sind klar verteilt und für jeden ersichtlich: Der „Böse“ ist ausstaffiert mit dunklem mit Totenköpfen verzierten Sportdress, der „Gute“ tritt in glitzerndem Outfit an. Der Verlust an Sympathie fängt schon bei der Begrüßung an. „Ihr seit es nicht wert, die gleiche Luft zu atmen wie ich“, ist eine der Standartbegrüßungen derjenigen, die die Bepöbelung des Publikums auf sich ziehen sollen.
Noch im ersten Kampf ist der „Böse“ der Sieger, er wird gnadenlos ausgepfiffen. Diese wohlkalkulierte Taktik soll die Stimmung im Saal anheizen. Und der Plan geht auf, denn die Halle gleicht nach knapp drei Stunden einem brodelndem Vulkan. Die Luft ist erfüllt mit Zigarettenqualm, Bierdunst und derben Anfeuerungen, wobei sich alle nach Kräften bemühen, noch etwas lauter und brutaler zu schreien als die anderen. Emotion pur für eine Dramaturgie, die Comic-Heften entliehen zu sein scheint.
Was den Fans dieser amerikanischen „Sportart“ gefällt, ist vor allem eine Show, die niedere Triebe befriedigt und die Phantasie beflügelt. Aggressionen abbauen, ohne selber einstecken zu müssen.Nach der Veranstaltung läuft dem Einen oder der Anderen der Geifer zusammen mit dem Bier aus dem Hals und die Kids beginnen im mit Pappbechern übersäten Foyer einzelne Passagen aus den eben beendeten Kämpfen nachzustellen. Das gibt blutige Nasen und vom torkelnden Vater einen zusätzlichen Schlag auf den Kopf.
„EinsA-Stimmung, war'as hier“, rülpst Vati der Mutti ins Gesicht. „Stimmt“, kommt die Antwort auf dem Weg nach draußen. Wem's gefällt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen