: Der Faktor Rock
■ „Macht das Schiller zu“ – eine Diskussion auf der BID
Die Berliner Musikmesse, kurz BID, lang Berlin Independence Days genannt, fand in diesem Jahr zum sechsten Mal statt. Genauso uninteressant wie diese Information sind Seminare wie „Jazz/Not Jazz“ oder „Ist guter Sound schon alles?“. „Macht das Schiller zu!“ ist dagegen zwar eine veraltete, weil schon erfüllte Forderung, klingt als Diskussionsthema aber immer noch gut. Untertitel: „Kulturpolitik in der Krise“.
Also auf in Saal 4 des ostcharmanten Hauses am Köllnischen Park. Auf dem Podium ein waschechter Staatssekretär: Dr. Winifred Suhlow vom Kultursenat. Angelika Weitz von Musikszene e.V. war nur als Namenschildchen vertreten. Außerdem Bob Romanowski vom Berliner Band Syndikat als „Gegner“ des Staatssekretärs.
Gegner gab es aber gar nicht, nach dem „Panel“ bekannten Musiker sogar, man wolle einfach, daß der Staatssekretär einen guten Eindruck von der Berliner Musikszene bekäme. Es ging um Kulturpolitik im Kleinstformat: Mischpulte, die in Jugendzentren vergammeln, Übungsräume die nur von einer Band genutzt werden.
„Was ist eigentlich die Idee hinter dem Metrobeat?“, dem Nachfolgeding des Senats-Rockwettbewerbs. Den Musikern, leider fast ausschließlich aus dem Umfeld des Bandsyndikats, fiel es „mental“ (Otto Rehagel) recht schwer, von der Frage der Geldverteilung zum Thema „Soll man Rockmusik überhaupt fördern?“ zu kommen. Man soll, denn Rock schafft Arbeitsplätze, holt die Kinder von der Straße, ist ein „Standortfaktor“ und gut für die Berlin-Werbung. „Berlin tut gut“ stand immerhin schon auf der Plastiktüte der ersten BID 1988. Die Musiker wollen nicht nur Gutes tun, sie wollen auch endlich Geld dafür sehen. Man solle lieber Organisationsstrukturen fördern als einzelne Musiker und Bands.
Ob es denn nicht vielleicht grundsätzlich dem Charakter von Rockmusik widerspreche, sich staatlich fördern zu lassen, wollte dann jemand wissen. Immerhin würden wir von einem „rechten Scheißsenat regiert“, ob das die Geldbittsteller des Syndikats denn vergessen hätten? Keine Reaktion, nur der Staatssekretär wirkte fortan ein wenig traurig. Noch ein Versuch: „Wenn du eine Guerilla gründen willst, beantragst du dann vorher Fördermittel?“ Rock als Subversionsinstrument – diese Idee scheint weder beim Staatssekretär, noch beim Bandsyndikat Anklang zu finden. Andere Berliner Musiker waren bei der Diskussion nicht anwesend. Immerhin kostet der Besuch der BID 200 Mark.
Offenbar sieht man leider keine Möglichkeit, sich ohne Senatssubventionen zu einem Interessenverband zusammenzufinden. Solange aber kann auch politisch wenig ausgerichtet werden.
Großartige Musik kommt indessen ohnehin nicht von hier, sondern z.B. aus Hamburg, wie das Konzert der „Milch“ am Samstag abend im Huxley's bewies. Doch deren Selbstironie kommt bei Berliner Zuschauern nicht an, die wollen's ernst und bedeutungsschwanger und rufen „Aufhören“. Kein Wunder, wenn hier alle auf Kulturträger wie die Einstürzenden Neubauten stolz sind, denn: „Kultur ist ein Standortfaktor“. Andreas Becker
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