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Den Haag will weg von der Massenunterbringung

■ Asylbewerber sollen von den Gemeinden in Wohnungen untergebracht werden

Amsterdam (taz) – Seitdem die Bonner Regierung Deutschland für Flüchtlinge nahezu unerreichbar gemacht hat, weichen immer mehr auf den kleinen Nachbarn aus: Erwarteten die Niederlande Anfang des Jahres noch 20.000 Asylsuchende 1993, wird inzwischen mit 40.000 gerechnet. Ähnlich wie in Deutschland werden sie zunächst in zentralen „Auffangzentren“ untergebracht, bis über ihren Antrag entschieden ist. Die Prozeduren dauern Jahre.

Momentan fehlen für 1.400 Neuankömmlinge in jeder Woche etwa 700 Plätze. Auch 12.000 anerkannte Flüchtlinge warten in den Zentren weiterhin auf eine Wohnung. In den vergangenen Wochen griff die Regierung in Den Haag zu Notmaßnahmen: 300 Flüchtlinge wurden auf einem Boot in Hellevoetsluis untergebracht, weitere 300 in einem leerstehenden Krankenhaus in Almere, 250 in einer Leidener Schule, und 225 in einem Kloster in Reusel.

In manchen Gemeinden macht sich angesichts der Massenunterbringung Unmut breit. Bei einem Informationstreffen zur geplanten Nutzung eines ehemaligen Ministeriumsgebäudes in Wassenaar als Asylbewerberheim wurden die für ihre Toleranz bekannten Anwohner deutlicher; Asylbewerber steckten ihre Häuser an und ließen Kippen im sauberen Park liegen. Mit einer konzertierten Aktion wird jetzt unter Federführung der sozialdemokratischen Sozialministerin Hedy d'Ancona an der dezentralen Unterbringung von Asylsuchenden in den Niederlanden gearbeitet. Zunächst reagierte der niederländische Gemeinderat skeptisch, als die Sozialministerin ankündigte, die Gemeinden sollten fortan Flüchtlinge nach etwa vier Monaten in den Niederlanden ungeachtet ihres Verbleibsstatus unterbringen. Insbesondere konservative Politiker warfen der Sozialministerin vor, sie stehle sich aus ihrer Verantwortung. Ihnen ist an einer Entspannung der Lage auch kaum gelegen: Die Erste Kammer in Den Haag verweigert dem wesentlich verschärften neuen Ausländergesetz ihre Zustimmung, weil es kein Berufungsrecht enthält. Lediglich das Flüchtlingswerk applaudierte: Die dezentrale Unterbringung sei humaner, billiger und verursache weniger Spannungen unter den Flüchtlingen und mit der einheimischen Bevölkerung.

Inzwischen scheint das Konzept zu greifen: 60 Wohnungsbaugesellschaften haben angeboten, innerhalb der kommenden drei Monate 1.400 „semi-dauerhafte“ Wohnungen für 4.000 Menschen zu errichten. Dabei sollen nicht mehr als 20 Wohnungen an einem Platz gebaut werden. Diese Wohnungen, ähnlich Umsetzwohnungen, die während Renovierungen genutzt werden, sollen für eine Dauer von fünf Jahren genutzt werden können. Insgesamt sind allerdings etwa 15.000 Wohnungen nötig. Doch auch zahlreiche der 652 niederländischen Gemeinden wie Groningen und Alkmaar haben bereits ihre Mitarbeit an dem Plan zugesagt. Nach einer Umfrage des Flüchtlingswerks unter 239 Gemeinden sind 90 Prozent bereit, Asylbewerber sowie anerkannte Flüchtlinge aufzunehmen. Drei Viertel der befragten Bürgermeister waren der Überzeugung, mit der dezentralen Unterbringung würden auch die bürokratischen Wege kürzer. Nach Schätzungen des Flüchtlingswerks ist die Unterbringung in den Gemeinden außerdem um die Hälfte billiger als in zentralen Großeinrichtungen. 700 Millionen Gulden (etwa 630 Millionen Mark) werden in diesem Jahr für die Aufnahme von Asylsuchenden ausgegeben. Im Etat vorgesehen waren 550 Millionen. Jeannette Goddar

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