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„Wir gehen nicht nach Burundi zurück“

Enge und Angst im ruandischen Flüchtlingslager Zengwa / Einen Monat nach dem Putsch in Burundi geht das Morden weiter – täglich kommen neue Flüchtlinge / Knappe Lebensmittel  ■ Aus Zengwa Sinikka Kahl

Hütten aus Zweigen und Blättern stehen geduckt unter der gnadenlosen Sonne. Zwischen ihnen ist kaum Platz – große Haufen von Müll, Feuerholz, Haushaltsmobiliar versperren den Weg. Im Rauch der Kochfeuer flimmert die Luft, Staub wirbelt auf und färbt die Szene gelb. Und überall stehen Menschen, unruhig und rastlos.

Das Flüchtlingslager von Zengwa liegt im zentralafrikanischen Kleinstaat Ruanda auf einem Berg. Am Fuße des Berges liegt der Rweru-See. Dahinter beginnt der Nachbarstaat Burundi, aus dem die Menschen geflohen sind. Zengwa verdankt seine Existenz dem Haß und der Gewalt.

Am 21. Oktober versuchte Burundis Armee, die von Eliteoffizieren des Minderheitenvolkes der Tutsi beherrscht wird, einen Putsch. Der demokratisch gewählte Präsident Melchior Ndadaye wurde ermordet. Er gehörte zum lange unterdrückten Mehrheitsvolk der Hutu. Sein Tod führte zu einer neuen Runde von Massakern zwischen Tutsis und Hutus, wie so oft in Burundis Geschichte.

Zehntausende von Menschen sollen in diesen Wochen gestorben sein. Über ein Zehntel der Bevölkerung Burundis ist Schätzungen zufolge ins Ausland geflohen: 375.000 nach Ruanda, 295.000 nach Tansania, 40.000 nach Zaire. Nach kurzer Zeit gab die Armee angesichts wachsender Empörung ihren Putschversuch auf, und eine neue Zivilregierung versucht die Lage wieder zu beruhigen. Aber die Toten werden nicht wieder lebendig, und das Morden geht noch heute weiter.

„Jeden Tag kommen Dutzende neuer Flüchtlinge an“, sagt Marwan Elkhoury, Sprecher der UNO-Flüchtlingsbehörde UNHCR in Zengwa. „Viele haben klaffende Wunden – von Macheten, Speeren, Pfeilen, Gewehrkugeln. Sie seien hinterrücks überfallen worden, erzählen sie.“

Das Lager ist relativ neu, und zu essen gibt es nicht genug. Also überqueren immer wieder Flüchtlinge die nahe Grenze, um Lebensmittel zu suchen. Manche kehren nie zurück. Eine Gruppe von 20 Menschen hinterließ unlängst 16 Tote. „Wir hatten unser Boot noch gar nicht am Ufer festgemacht, da fingen sie schon an zu schießen“, erzählt Nsengiyumva, einer der vier Überlebenden. Er ist in die ruandische Hauptstadt Kigali geschickt worden, um seine Schußwunden an Arm und Schulter behandeln zu lassen.

Der 28jährige Nestor Mutabazi arbeitete früher als Berater des Bürgermeisters von Busoni, einer Stadt mit 80.000 Einwohnern. „Einen Tag sitzen Tutsis und Hutus noch zusammen zum Trinken“, sagt er, „und am nächsten Tag ist der Präsident tot, und sie fangen an, sich umzubringen.“ Nestor verließ Burundi nach dem Putsch, als er hörte, daß er von Soldaten gesucht werde. „Sie töten vor allem gut ausgebildete Hutus, genauso wie 1972“, berichtet er und erwartet, noch lange in Zengwa bleiben zu müssen. „Wir trauen uns nicht, nach Burundi zurückzukehren“, meint er. „Wir gehen erst, wenn die Armee umgebildet worden ist und viele Hutus enthält.“

Die meisten Lagerinsassen sind zu Fuß geflohen. Zu 80 Prozent sind es Frauen und Kinder – die Männer sind geblieben, um zu kämpfen, um das verbleibende Eigentum zu schützen.

Fast alle Bewohner der 21 burundischen Flüchtlingslager in Ruanda sind Hutus. „Die Tutsis müssen nicht fliehen“, erklärt Elkhoury. „Sie werden von den Soldaten geschützt.“ Am Anfang gab es in Zengwa Auseinandersetzungen zwischen Hutus und Tutsis. Die Tutsis sind vor rund einer Woche auf mysteriöse Weise aus dem Lager verschwunden. „Vielleicht hat man sie umgebracht“, meint UNHCR-Vertreter Koffi Adossi. „Aber wahrscheinlich sind sie einfach geflohen.“ Nur eine Tutsi- Familie ist noch da – Beatrice Manirakiza mit ihren vier Kindern. „Wir haben keine Angst“, sagt sie, „unsere Schwiegermutter ist bei uns, und sie ist eine Hutu.“ Obwohl ruandische Polizisten im Lager patroullieren, plant das UNHCR, ein eigenes Lager für die insgesamt etwa 1.000 Tutsis unter den Flüchtlingen einzurichten.

32.000 Menschen wohnen bereits im Lager Zengwa. Die Flüchtlinge werden immer mehr – die Mittel des UNHCR immer weniger. „Es gibt nur ungefähr zwei Drittel der benötigten Lebensmittel“, klagt Elkhoury. Die geschwächten Flüchtlinge müßten alle zehn Tage sieben Kilometer zum nächsten feeding center laufen.

Viele von ihnen leiden an Malaria und Ruhr. Für 50 Leute gibt es eine Latrine. In einem anderen Lager, in Bugarama, sind bereits 30 Menschen an Cholera gestorben.

In jüngster Zeit hat die Regierung Ruandas für die Flüchtlinge etwas mehr Land zur Verfügung gestellt, nachdem im Labyrinth der Reisighütten von Zengwa Feuer ausbrachen. Die ärgsten Platzprobleme können jetzt gelöst werden. Aber schon vor der Ankunft der Burunder hatte Ruanda eine der höchsten Bevölkerungsdichten der Welt – 280 Einwohner pro Quadratkilometer. Auf jedem freien Platz an den Berghängen werden Bohnen, Kaffee und Bananen angebaut. Heute leben in der Gemeinde Kibaye doppelt so viele Flüchtlinge wie Einheimische – knappes Agrarland muß den Schutzsuchenden zur Verfügung gestellt werden.

Bis jetzt hat die Gastfreundschaft des von Hutus regierten Ruanda gehalten. Aber das kleine Land hat viele eigene Probleme, darunter die Bewältigung eines UNO-überwachten Friedensprozesses zwischen der Regierung und der hauptsächlich aus Tutsis bestehenden Guerillabewegung Ruandische Patriotische Front (RPF). Diplomaten in Kigali fürchten nun, daß die Gewalt in Burundi auf Ruanda übergreift. „Die Ruander wissen, daß sie viel zu verlieren haben“, meint einer.

Damit der Frieden hält, muß die Versorgung der Flüchtlinge funktionieren. Das UNHCR hat einen Aufruf für 17 Millionen Dollar für die Flüchtlinge in Ruanda, Tansania und Zaire um die Welt geschickt – das könnte für drei Monate reichen. Bis jetzt sind nur 4,14 Millionen Dollar zugesagt worden, das UNHCR muß aus seinen Reserven schöpfen.

Aber zur Zeit ist Geldmangel ein kleineres Problem als schlechte Organisation. In der Nähe des feeding center ist eine lange Schlange müder Menschen zu sehen, die den Berg zum Lager Zengwa wieder hinaufsteigt – mit leeren Mägen: Das für diesen Tag versprochene Essen kam nicht an. „Wo die UNO eine neue Operation beginnt“, seufzt Elkhoury, „passiert so was immer.“

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