Sanssouci: Nachschlag
■ Moritz Reichelt las und sang in der Volksbühne aus seinem Buch
Moritz R. schwitzte. Heiß war es unter der roten Troddellampe, unter der sich der Maler und Musiker Moritz Reichelt auf ungewohntem Terrain beweisen mußte: Am Samstag las das ehemalige Mitglied der Band Der PLAN in der Berliner Volksbühne aus seinem ersten Buch über die Geschichte des PLANs und über „Glanz und Elend der Neuen Deutschen Welle“. Ein großgemustertes Taschentuch trocknete seine Stirn, aber Reichelt – im überfülltem Plüschsalon – blieb nervös: „Vor den größten Städten hat man erst immer den meisten Respekt und stellt dann doch fest, daß sie das beste Publikum haben.“ Zumindest wohlgesonnen war das Berliner Publikum an diesem Abend. Um die Sessel hatten sich Vertreter der ortsansässigen Kunstinstitutionen gruppiert, und gleich in erster Reihe saßen die Kollegen von der Tödlichen Doris, die im Buch gebührend erwähnt worden sind. Die Sympathien waren Reichelt sicher. Doch er machte es sich schwer. Als ob er beweisen wollte, daß er hier allein seinetwegen und nicht im Auftrag der 1992 aufgelösten Gruppe sitze, trug er zunächst die Passagen vor, in denen er Zeugnis ablegt von seiner ganz persönlichen musikalischen Initialzündung, von seinem Amerikabesuch mit Abstecher ins Disneyland und der anschließenden Suche nach der Antwort auf die Frage: Was ist eigentlich „deutsch“? Und als ob er es nötig gehabt hätte, den Anwesenden zu schmeicheln, folgten Textauszüge über die PLAN-Auftritte in Berlin, 1980 bei „Belehrung und Unterhaltung“ und 1987 bei „Mythen, Monster, Mutationen“. Das sind nicht die besten Stellen, und Reichelt zeigt sich als ein Vorleser, der vor allem Zwischenrufe zu parieren weiß. Im Hintergrund zitierte derweil eine Dia-Show die Abbildungen aus dem Buch.
Am Standmikrofon wirkte Reichelt dann sicherer. Das ist seine Welt. Selbst wenn Töne vom Band die PLAN-Musiker ersetzten: eine fremde und seltsame Welt voller selbstgebastelter Autos, vergeblicher Anrufe in der Nacht und Sinneswandel alle sieben Jahre. Zu den synthetischen Takten wippte Reichelt linkisch im schwarzen Anzug, ganz so, wie es einem einstigen Dilettanten geziemt. Seine Zuhörer summten mit – die Texte kannten sie noch ganz genau. „Das habe ich mit dreizehn gehört“, rief der Gast, der vergeblich den Pizza-Song forderte. Gerade gestern schien's gewesen zu sein! Zumal Reichelt nach kräftigem Beifall auch noch Andreas Dorau auf die Bühne bat. Der freilich verweigerte die alten Hits und erschien mit modischem Zickenbärtchen als Zugeständnis an die Zeit. Claudia Wahjudi
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