: Geheimdienst und Sekte
■ betr.: „Von der Sekte zum Ter ror“, taz vom 27.11.93
Ihrer durchweg positiven Beurteilung dieses Buches können wir uns nur bedingt anschließen. Zwar enthält diese neue Veröffentlichung zum Thema Colonia Dignidad auch für den Eingeweihten eine erstaunliche Fülle von Hintergrundinformationen, der Autor präsentiert sich aber mit seinem theoretischen Rüstzeug nicht ganz auf der Höhe der Zeit. Kirchenkritische Arbeiten von Horkheimer und Foucault als Erklärung für den systembedingten Terror einer modernen Sekte heranzuziehen überzeugen nicht. Wesentlich eleganter läßt sich die gegenseitige Anziehung von Geheimdienst und Sekte durch ihre gemeinsamen Wurzeln erklären. Beide Organisationen pflegen eine Eliteideologie, ihre Mitglieder sehen sich außerhalb des moralischen und rechtlichen Kontextes, in einer für sie bedrohlichen Umwelt versuchen sie den „Feind“ umzudrehen. Der Geheimdienst tut dies üblicherweise mit Gehirnwäsche und Folter. (George Orwell läßt in „1984“ seinen Folterer sinngemäß sagen: Wir werden dich (das Opfer) nicht nur dazu zwingen zu gestehen. Das interessiert uns gar nicht. Wir werden dich dazu zwingen, den großen Bruder zu lieben.)
Der Sekte gelingt dies mit Täuschung, bewußtseinsverändernden Techniken und Milieukontrolle – den sogenannten koreanischen Methoden, die wiederum zu den modernen psychologischen Kriegstechniken gehören. Moderne Psychosekten sind also lediglich die privatwirtschaftliche, quasi zivile Spielart solcher Geheimdienstorganisationen. Die Zusammenarbeit zwischen Sekte und Geheimdienst läßt sich daher nicht nur bei Colonia Dignidad/ DINA beobachten. Man bedenke die Geheimdienstverbindungen von Mun-Sekte und KCIA/CIA, die Kontakte und Waffenschiebereien der katholischen Sekte Opus Dei oder die Mitgliedschaft des guatemaltekischen Foltergenerals Rios Montt in der protestantischen US-Sekte El Verbo etc.
Der Autor verarbeitet diese Hintergründe offenkundig nicht. Da er dem Terror in Dignidad mit Foucault und Horkheimer habhaft werden zu können glaubt, muß er folglich Dignidad als eine Abspaltung einer Traditionskirche auffassen. Zu dieser Fehlinterpretation haben die Freikirchlichen Gemeinden (Baptisten), aus deren Reihen tatsächlich eine große Anzahl der Colonia-Dignidad-Mitglieder stammt, durch ihr jahrzehntelanges allzu vornehmes Schweigen selbst beigetragen. Sie müssen sich also jetzt nicht wundern, wenn sie mit Colonia Dignidad in einen Topf geschmissen werden. [...] Martin Andresen, Not- und
Interessengemeinschaft für die
Geschädigten der
„Colonia Dignidad“
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