: Tödliche Einfalt auf dem Acker
■ Am 29. Dezember tritt die Artenschutzkonvention in Kraft / FAO befürchtet, daß der Verlust der biologischen Vielfalt die Ernährung der Weltbevölkerung gefährdet
Berlin (taz/wps) – Ironie des Fortschritts: Die ständig steigenden Erträge der Bauern in Europa, Asien und Amerika gefährden langfristig die Welternährung. Sie sind nämlich erkauft mit einem dramatischen Verlust an Artenvielfalt bei Kulturpflanzen und Haustieren. Und diese biologische Vielfalt, so stellt eine kürzlich veröffentlichte FAO-Studie fest, „ist Grundlage der weltweiten Ernährungssicherheit“.
„Arten sind immer ausgestorben“, sagt Hartwig de Haen, FAO- Vizepräsident für Landwirtschaft. Doch der Verlust von Kulturpflanzen und Haustierrassen nehme rapide zu. Eine heraufziehende Katastrophe nennen das seine Experten. Die FAO belegt ihre Besorgnis mit Zahlen. Allein 6.000 Apfelsorten, die einmal auf nordamerikanischen Farmen wuchsen, gibt es schlicht nicht mehr. „Wir merken erst seit einem Jahrzehnt wirklich, daß wir ständig viele Arten verlieren“, so Robin Welcomme von der FAO-Fischfang-Abteilung. „Und seither bekommen wir Angst.“
Nicht zu Unrecht. Die Kartoffelfäule, die im 19. Jahrhundert in Irland zu Hungersnöten führte, ist in Kalifornien zurückgekehrt. Und Forscher suchen jetzt in den Anden nach resistenten alten Arten. Ein Drittel der nordamerikanischen Prärien ist von nur einer Weizensorte bedeckt, und von einst 30.000 Reissorten werden in einigen Jahren nur noch zehn übriggeblieben sein. Was aber wenn diese zentralen Sorten von einer Seuche befallen werden?
Die FAO verweist auf die Konvention für die biologische Vielfalt, die im Sommer 1992 auf dem UNCED-Gipfel in Rio verabschiedet worden ist und am 29. Dezember endlich in Kraft treten soll. Sie rücke das Problem weiter ins Zentrum des internationalen Interesse. Sie löse es aber nicht, so Welcomme. „Die Lösung muß von den einzelnen Ländern kommen.“
FAO-Direktor Jose Esquinas- Alcazar beschreibt das Dilemma aus der Sicht seiner Organisation. „Die grüne Revolution hat Tausende von Pflanzenarten ausgerottet. Wir können aber nicht aufhören ertragreichere Sorten zu züchten, solange die Welt hungert. Andererseits können wir den weiteren Verlust genetischer Reserven auch nicht mehr dulden.“
Was heißt nicht mehr dulden? Die Eingriffe, die zur Ausrottung vieler Arten führen, werden im Namen des Profits von Experten des Norden empfohlen. 200 Fischsorten im ostafrikanischen Victoria-See sind in den letzten Jahren ausgestorben. Der Grund: Der gefräßige Nil-Barsch wurde im See ausgesetzt, um Sportfischer anzulocken. Was Fischern und Touristenführern jetzt zum Lebensunterhalt verhilft, kann für die Zukunft des Sees tödliche Folgen haben. Westliche Konzerne und Forscher melden heute Patente auf den genetischen Reichtum des Südens an. Künftig werden viele Arten nurmehr in ihren Labors überleben, obwohl die gleichen Konzerne von der Ausrottung zuvor profitiert haben. ten
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