■ Gebrauchsanweisung für die weitere Nutzung des Grundgesetzes als Wahlkampf-Pamphlet: Sehr geehrter Herr Schäuble!
Sie finden in mir einen Bewunderer Ihrer Fähigkeit, ein Nicht-Thema zu einem politischen Thema zu machen. In Zeiten, in denen Politik nichts zu verkaufen hat, verkaufen Sie diese Politik bestens. Sie haben vorgeschlagen, über den Einsatz der Bundeswehr im Inneren nachzudenken, um gegen Zuwanderer und Terroristen vorgehen zu können. Fantastisch. Die Kritiker räsonieren bereits über den praktischen und verfassungspolitischen Sinn Ihres Nachdenkens. Wunderbar! Selbst ein substanzloser Vorschlag kann mit Hilfe der politischen Kontrahenten ein mediales Echo und damit ein gewisses Maß an Plausibilität erzielen. In Ihrem Sinne wohl habe ich weitergedacht. Meine Überlegungen will ich Ihnen nicht vorenthalten:
In Artikel 104 Abs. 1 Satz 3 des Grundgesetzes steht: „Festgehaltene Personen dürfen weder seelisch noch körperlich mißhandelt werden.“ Wie wäre es, wenn Sie öffentlich darüber nachdenken, ob wir es uns gegenüber international agierenden Banden und terroristischen Organisationen wirklich leisten können, aus bloß (Gerade auf dieses bloß käme es für die Wirkung entscheidend an, da Sie damit bekunden, daß Sie über den Dingen stehen!) humanitären Gründen auf mögliche Fahndungserfolge zu verzichten! Sie könnten hinzufügen, daß Sie als Christ selbstverständlich die Folter ablehnen, aber daß es möglich sein müsse, wenigstens die Folterwerkzeuge zu zeigen und – wenn es gar nicht anders geht – auch anzuwenden, selbstverständlich nur im Einzelfall und unter richterlicher Aufsicht.
In Artikel 103 Absatz 1 des Grundgesetzes steht: „Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.“ Stellen Sie sich vor, Sie würden den Vorschlag machen, diese Bestimmung aufzuheben.
Schon jetzt stelle ich mir die Kritiker vor, die schäumend vor Wut auf rechtsstaatliche Traditionen und anderes hinweisen und deren Wut noch gesteigert würde, wenn Sie ihnen entgegenhielten, daß es in schwierigen Zeiten auf Nüchternheit und Sachverstand ankomme, daß Sie der Auffassung seien, der wirklich Unschuldige bedürfe keines rechtlichen Gehörs, da seine Unschuld zweifelsfrei erwiesen werde und im übrigen der Rechtsstaat an die Grenze der Belastbarkeit gekommen sei.
In Art. 102 des Grundgesetzes steht: „Die Todesstrafe ist abgeschafft.“ Für nicht ungeschickt hielte ich es, wenn Sie öffentlich erklären würden, man müsse überlegen, ob diese Bestimmung angesichts wachsender Kriminalität zeitgemäß sei. Stellen Sie sich den Aufschrei der Empörung vor, den Ihr öffentliches Nachdenken nach sich ziehen würde! Was könnten Sie politischen Honig saugen, wenn Sie die Kritiker wegen ihrer unsachlichen Art in die Schranken wiesen, Gesprächsbereitschaft signalisierten und zugleich einräumten, daß die Todesstrafe selbstverständlich kein Allheilmittel gegen das Böse in der Welt sei, aber das Notwendige auch getan werden müsse.
Ich bin sicher, meine Vorschläge sind geeignet, Sie und die CDU/CSU erfolgreich über das Superwahljahr hinwegzuretten. Wenn Politik auf der Stelle tritt, darf man eben bei der Wahlkampfstrategie nicht zimperlich sein, um die Macht zu erhalten. Uwe Günther
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