: Zunächst ruckelt und zuckelt die Berliner S-Bahn weiter wie bisher
■ Was sich im Hauptstadt-Nahverkehr durch die Bahnreform ändert und was nicht / Verbund mit acht Kommunen geplant
Wer am Sylvester-Abend in welcher Großstadt oder in welchem Ballungsraum auch immer S-Bahn fährt, müßte sich eigentlich fragen, wie er nach dem großen Feuerwerk nach Hause kommen will - wenigstens, ob er auf dem Rückweg eine neue Fahrkarte lösen muß. Denn ab 1. Januar null Uhr gehört neben Bundes- und Reichbahn (DB und DR) auch die S-Bahn einem neuen Unternehmen: der Deutschen Bahn Aktiengesellschaft (DB AG).
Nun, es wird keine neue Fahrkarte nötig sein. Auch in den darauf folgenden Tagen und Monaten bleiben die altgewohnten Tickets, nur das Emblem kommt anders daher: Die Abkürzungen DB oder DR werden durch ein nur wenig variiertes DB-Signet ersetzt. Und doch wird sich alles ändern.
Irgendwann wird die S-Bahn Schienen mieten
In Berlin bastelt die Noch-DR an einer neuen Gesellschaft: Im kommenden Jahr soll aus der S-Bahn eine GmbH werden. Die S-Bahn-Gesellschaft, Tochter der neuen Deutschen Bahn, ist dann allerdings weder im Besitz des Schienennetzes noch der Bahnhöfe. Von der Prozedur her müßte die GmbH beides mieten. Doch wie hoch die Miete für die Infrastruktur sein wird, weiß heute keiner. Ernst wird es deshalb auch erst, wenn die DB AG in weitere Aktiengesellschaften aufgesplittet wird und die S-Bahn-Gesellschaft wie auch mögliche private Konkurrenten jeden gefahrenen Kilometer auf Heller und Pfennig bei der Fahrweg AG berappen müssen. Die DB AG werde in weitere Unternehmen aber frühestens 1997 aufgeteilt, erläuterte vergangene Woche Werner Remmert, bis Ende des Jahres Präsident der Reichsbahn Direktion Berlin und ab dann Konzernbevollmächtigter in der Region.
Doch was soll das ganze, wenn die heutigen 750 Zugpaare auf dem rund 300 Kilometer langen S-Bahnnetz mit seinen über 200 Bahnhöfen weiter so zuckeln und ruckeln wie bisher? In vermutlich vier Jahren zuckelt und ruckelt gar nichts mehr wenn die Züge nicht von irgendjemandem gemietet werden. Diese „Mieter“ sind die Kommunen Berlin und die Umlandgemeinden. Sie werden später die Fahrpläne ihrem Bedarf und Etat entsprechend zusammenbasteln lassen. Die Bahn ist für die kommenden vier Jahre verpflichtet, die S-Bahn mit dem heutigen Angebot weiterzubetreiben von Verbesserungen abgesehen. Im Gegenzug wird der Betrieb vorerst vom Bund weiterfinanziert. Ab 1996 zahlt der Bund dann direkt an die Kommunen. Berlin erhält 520 Millionen Mark und 1997 630 Millionen Mark.
Diese Beträge zahlt das Land nicht an die S-Bahn-Gesellschaft, sondern an den Nahverkehrsverbund, der im Frühjahr 1994von der Stadt gemeinsam mit den benachbarten acht Kommunen gegründet werden soll. Dieser Verbund wird später dem Auftrag der Kommunen entsprechend einen Fahrplan zusammenstellen und dann S-Bahn-Linien oder auch mögliche billigere Privatanbieter mieten.
Von dieser Art der Privatisierung unberührt bleiben die U-Bahn, die Tram und jene Bus-Linien, die nicht von der Reichsbahn betrieben werden. Bei den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG), mit 1600 U-Bahn-Fahrzeugen, 992 Straßenbahn-Wagenpaaren, 2000 Bussen und rund 26.000 Mitarbeitern Europas größtes kommunales Verkehrsunternehmen, gibt es zwar auch Privatisierungs-Bemühungen. So werden schon heute einzelne Buslinien von Privaten bedient oder sollen Aufgaben wie Reparaturen an Fremdfirmen vergeben werden. Auch wird der Eigenbetrieb des Landes zur Jahreswende in eine Anstalt öffentlichen Rechts umgewandelt, in dessen Aufsichtsrat der Senat vertreten ist. Zumindest formal kann das Abgeordnetenhaus nicht mehr die Tarife bestimmen.
Die U-Bahn wird außer Konkurrenz rumpeln
Eine Aufteilung in Betriebe wie einer Fahrweg AG, der etwa das Schienennetz gehörte, wird aber nicht diskutiert. So gibt es ab 1998 die kuriose Situation, daß auf dem S-Bahn-Netz der billigste Anbieter fahren kann, die U-Bahn aber rumpelt außerhalb der Konkurrenz. Für die 3,4 Millionen Berliner ist das aber nicht unbedingt ein Nachteil. Bislang mußte aus dem Landeshaushalt ein Defizit von 1,45 Milliarden Mark gedeckt werden, doch dafür kostet auch nach der Traiferhöhung zum ersten Januar eine Gesamtnetzkarte für das bundesweit engmaschigste und längste Netz nur 82 Mark für Ostberliner sogar 70 Mark.Dirk Wildt
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