■ Erbfolgeregelungen in Italien – ein Spaß für die ganze Familie: „Unerklärliche Erbschaften“ und notarielle Verträge
Terracina (taz) – Die Bitte schien von jener Sorte, die man gern erfüllt – schnell zu erledigen und ohne großes intellektuelles Engagement: Ob ich mal eben zum Notar mitfahren und bei einer kleinen Verbriefung – ein Acker war verkauft worden – als Zeuge fungieren könne. Der Notar waltet nicht weit von meinem Wohnort Terracina entfernt. Zur vereinbarten Zeit, halb fünf Uhr nachmittags, war er allerdings noch nicht zugegen. Die Sekretärin hob vielsagend die Schultern: „Vor halb sieben, sieben wird er kaum kommen, er hat drei Verbriefungen auswärts.“ Wiederkommen, später, morgen? „Besser, ihr bleibt da, schließlich kommen ja heute alle.“ Das war gut gesagt: „Alle.“ Tatsächlich waren zur Verbriefung nicht nur der Käufer und seine Frau – auf die das Grundstück eingetragen werden sollte – eingetrudelt, sondern auch jene, die den knapp 800 qm großen Miniacker veräußern wollten für umgerechnet ein paar tausend Mark. Vor allem aber waren erschienen die Avvocati, die Rechtsberater der jeweiligen Seiten – nicht weniger als vier Stück.
Wie das? Ganz einfach: Das Grundstück hatte einst dem Großvater der Verkäufer gehört. Der war inzwischen gestorben. Doch seine drei Söhne hatten niemals offiziell die Erbschaft angetreten – um Steuern zu sparen. Das ist in Italien so üblich, und dem Staat ist es bis heute nicht gelungen, den in anderen Staaten üblichen Nachfolgeautomatismus durchzusetzen. So „vagieren“ heute im Land nach Hochrechnungen der Finanzbehörden mindestens 200.000 Grundbesitze und Millionen beweglicher Besitze als unerklärtes Erbe herum. Sichtbar wird das erst, wenn für eine Veräußerung ein Dokument gefordert wird – wie nur hier, bei Immobilien.
In unserem Falle hatte das inzwischen Formen angenommen. Denn: Das Grundstück war bereits verkauft worden, an einen Maurer. Da die Erbfolge aber nicht erklärt war und man so nicht notariell verbriefen konnte, hatten die Parteien Zuflucht zu einem Notbehelf genommen – dem Compromesso, ein privater Vorvertrag. Hier waren erstmals Anwälte ins Spiel gekommen: Sie schlossen, für die drei seinerzeitigen Erben, mit dem Maurer, der seinerseits einen Anwalt konsultierte, das Verkaufs- bzw. Kaufversprechen. Beim Nachmessen stellte der Maurer allerdings fest, daß von den 800 Quadratmetern etwa ein Dutzend fehlte – weshalb er sich weigerte, die noch ausstehenden umgerechnet tausend DM zu bezahlen, und so landete die Sache vor Gericht.
Inzwischen gingen Jahre ins Land, zwei der drei Erben starben; überflüssig zu erwähnen, daß deren Nachwuchs – insgesamt sieben Vettern – die Erbfolge ihrerseits auch nicht erklärte, und so verstrichen denn auch alle vom Gericht anberaumten Termine, weil das Tribunale nicht festzustellen vermocht hatte, wer sich denn über die fehlenden Quadratmeter zu erklären hatte. Doch nun, da der Maurer seinerseits das Grundstück verkaufen wollte, war jene neue Lage entstanden, die vor dem Notar zur endgültigen Bereinigung anstand: Die Erben mußten sich nicht nur mit der Weiterveräußerung einverstanden erklären, da der Acker ja noch immer nominell ihnen, als Erben, zustand – auch die Erbfolge selbst mußte rechtsverbindlich erklärt werden. Darauf hatte der ebenfalls erschienene Anwalt des neuen Käufers bestanden. Und so saßen wir denn da, mit den vier Advokaten, und warteten auf den Notar.
Der kam gegen acht Uhr, strahlte freundliche Ausgewogenheit aus und bat uns ins Büro. Nach gut einer halben Stunde waren Stühle für alle gefunden – da erhob sich der Anwalt des letzten noch lebenden ursprünglichen Erben und fragte, ob denn nun alle Einwilligungserklärungen vorlägen. Die Anwesenden nickten, und da erschien ein diabolisches Lächeln im Gesicht des Avvocato: „Und das von deiner Mutter?“ fragte er einen der Vettern. „Die ist doch tot“, intervenierte der Rechtsberater des Hocherschrockenen. „Eben, und wo ist der Erbschein dafür?“ „Ecco“, sagte der Notar und klappte knallend den Aktendeckel zu; mein Argusblick hatte allerdings wahrgenommen, daß im Faszikel auch gar nichts dringelegen hatte. „Wozu auch?“ fragte er mich, als sich die zwölf Erschienenen schimpfend und schreiend entfernt hatten, „das ist immer so; überflüssig, daß ich da auch nur eine Zeile vorbereite.“ Gut eine Million Lire – etwa 1.000 DM – hatte er dennoch eingestrichen, bevor er die Erben- und Käuferbande wieder hatte ziehen lassen, „Ich habe doch meine Zeit auch nicht in der Lotterie gewonnen.“ Wohl nicht. Was sein Einkommen angeht, fehlt aber nicht viel daran. Werner Raith
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen