: Größen-Wahn in der Heide
Weil die Regierung nach Berlin umzieht, darf Bonn seinen Provinzflughafen ausbauen und an das ICE-Netz der Bahn anschließen ■ Aus Köln Markus Duffner
Noch stehen Bäume im Weg. Ein paar von ihnen fielen am Wochenende mal wieder der großen Bonner Politik zum Opfer. Etwa 30 Mitglieder der „Aktionsgemeinschaft der Ausbaugegner des Flughafens“ haben dagegen demonstriert. Es hat nicht viel genützt, gestern rückten die Holzfäller mit starkem Polizeikräften an. Hinter ihnen steht – wahlweise – die deutsche Geschichte, der deutsche Kanzler, ein deutsch-amerikanischer Stararchitekt oder auch nur ein Papier, das angeblich gar nichts bedeutet. Den Schaden tragen ein Naherholungsgebiet, die Bonner Nachtruhe und die Staatskasse der Bundesrepublik Deutschland.
Kanzler Kohl – um mit ihm zu beginnen – mag bekanntlich nicht nach Berlin umziehen. Aber die Geschichte ruft. Da soll wenigstens die Bonner Region nicht ganz leer ausgehen. 2,8 Milliarden „Ausgleichzahlungen“ sind zugesagt, auf der letzten Umzugsgipfelkonferenz im Kanzleramt sind weitere 500 Millionen Mark hinzugekommen – eine Ergänzungsabgabe an den nordrhein-westfälischen Landtag, der vorab schon 400 Millionen Mark aus der Landeskasse für öffentlichen Personennahverkehr bewilligt hatte: Für dieses Geld soll die soeben aus ihrer hoheitlichen Verkehrspflicht entlassene Bahn eine ICE-Strecke zum Flughafen Köln/Bonn bauen.
Die Investition lohnt sich nur, wenn Bonn einen Boom erlebt, den keine Regierung bisher zustande gebracht hat. Zwei Millionen Kunden wären jährlich nötig, um die Trasse rentabel zu betreiben, allein der Unterhalt für die ICE-Schleife würde pro Jahr 28 Millionen Mark verschlingen.
Näheres ist in einem Papier der Flughafengesellschaft nachzulesen, das 1992 in die Öffentlichkeit geriet. Die Perspektivstudie eines amerikanischen Planungsbüros schwärmt von einem „internationalen Megaairport“ für dereinst 17 Millionen Passagiere – ein Zuwachs von über 400 Prozent zu den heutigen vier Millionen Bonnfliegern. Für die Gebäude liegt schon ein Entwurf des Chicagoer Architektenbüros Murphy und Jahn (Helmut) vor. Auch der Frachtverkehr soll expandieren. Wurden 1992 noch 210.000 Tonnen Güter umgeschlagen, sollen es einmal eine Million Tonnen sein.
Das 100 Seiten starke Papier hat sofort Proteste ausgelöst, nicht nur bei Umweltschützern. Seither gilt es als Verschlußsache. Man favorisiere jetzt, sagt Flughafendirektor Heinz Gombel, eine eher „am Bedarf orientierte, nachfragegerechte Entwicklung“. Trotz der gegenwärtigen Zunahme an Fluggästen könne man nicht von einer „linearen Entwicklung“ ausgehen, versichert Gombels Pressesprecher, alles, was „über das Jahr 2000 hinausgehe, sei „Kaffeesatzleserei“. Daran mögen nun die Flughafenausbau-Gegner nicht glauben. Zu nachdrücklich sägen Holzfäller unter Polizeischutz Bäume in der heutigen Einflugschneise um. Nach Auffassung der Aktionsgemeinschaft stehen diese „Maßnahmen zur Wiederherstellung der Hindernisfreiheit in den Anflugsektoren“ (Luftfahrtaufsicht des Verkehrsministeriums) im direkten Zusammenhang mit den Schubladenplänen für den Superairport. Mit Blick auf die Trost- Subventionen aus der Bonn/Berliner Ausgleichkasse schieben sich Flughafengesellschaft und Bahn seit Monaten gegenseitig die passenden Zahlen zu. 200.000 zusätzliche Fährgäste würde der ICE zum Flughafen befördern, rechnet die Bahn, sieben Millionen sollen es im Jahr 2000 werden, glaubt der Flughafensprecher. Voraussetzung dafür wäre neben der ICE-Strecke auch noch eine neue S-Bahn- Linie, wie in der Perspektivstudie vorgesehen. Daß dann immer noch 70 Prozent aller Köln/Bonner Fluggäste in den ICE umsteigen, wie die Flughafengesellschaft annimmt, ist schwerer zu erklären. Die Rechnung könnte höchstens dann aufgehen, wenn man die Bundesbahn dazu bewegen könnte, den ICE auch in den Kleinstädten der Region halten zu lassen. Dann wäre aber die S-Bahn billiger und das Auto mal wieder am schnellsten. Bei der Bahn selber glaubt man auch langfristig noch nicht eimal an eine halbe Million Fahr-/Fluggäste bei direktem ICE-Anschluß.
Aber das Geld ist bewilligt, Wahlkampfgeschenke an die Adresse der Bonner Lobby haben den Ausschlag gegeben. Die Perspektivstudie lieferte auch dafür die Stichworte: „Für den größten Wirtschaftsraum Europas ist die ICE-Anbindung von Köln/Bonn unverzichtbar, es sei denn, man nimmt Schwerpunktverlagerungen nach Brüssel und vor allem Amsterdam bewußt in Kauf.“
Die Provinz rüstet auf. Ob ICE, S-Bahn, vierspurige Schnellstraße oder eventuelle Transrapid- Trasse: sämtliche Verkehrsanbindungen des Flughafens, so kritisieren örtliche Naturschützer und Bürgerinitiativen, führen durch Wohnbebauung und das Naturschutzgebiet Wahner Heide. Der Megaairport wird mit neuen Roll- und Landebahnen den Rest auffressen und das Doppelte der bisherigen Fläche versiegeln. Schon jetzt besteht eine Option, wonach ein weiterer Teil des Reservats dem Flughafen zur Verfügung gestellt werden darf.
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