: Unterm Strich
Fressen und Moral '94: „Look at your game, Girl“, einer der Songs auf dem letzten Album der bekannten Poser-Band Gewehre un' Rosen, ist in die Schlagzeilen geraten. Allerdings geht's dabei weniger um die Tatsache, daß das Stück – Provokatiooonnnn!! – von Charles Manson stammt, als um eine ganz andere Rechnung: Phil Kaufman, der das Stück in der Originalfassung als Producer betreute, hat die Rechte daran für sich reklamiert. Manson, den er damals im Knast traf, habe ihm selbige übertragen. Kaufman war schon einmal in die Schlagzeilen geraten, als er die Leiche der Country-Legende Gram Parsons stahl, um sie 1973 in der kalifornischen Wüste spektakulär zu verbrennen.
„Der gefährlichste Mann der Welt“, „Russen-Hitler“ (Bild) Schirinowski, der mit seinen wilden russischen Clan-Genossen das Geld von Joint-ventures versäuft und sich sogar Sexsklavinnen hält, drückt nicht nur die Investitionslaune, er erschwert auch – und ist das nicht eine total verdrehte, treppenwitzartige, historisch hochkomplexe Angelegenheit? – die Rückführung deutscher Kulturgüter. Die Reformer fühlten sich behindert, sie wagten aber „im Moment auch relativ wenig“, gab die Koordinatorin der Verhandlungen, die Bremer Kultursenatorin Helga Trüpel, im Deutschlandradio kund. „Es gibt immerhin noch einige Signale, daß es nicht ganz zum Stillstand gekommen ist, aber es ist ein schwieriger Prozeß.“ Natürlich haben die deutschen Museen, die direkt
nach dem Zweiten Weltkrieg umfängliche Verlustlisten angelegt haben, Schiß, daß die Kunstwerke in dieser kritischen Situation außer Landes verhökert werden, in Tresoren von Privatsammlungen verschwinden und/oder erst in 20, 30 Jahren wieder auftauchen könnten – wenn wieder ein Großreich zusammenbricht.
Das alles kann einen wie Ivan Rebroff nicht davon abhalten, Rußland zu betouren. Sechs Wochen will er im Frühjahr unter dem Motto „Ich bin ein barocker Bacchant, ich bin Rußland!“ Kasatschoks nach Moskau tragen. „Mütterchen Rußland schließt Rebroff noch fester in die Arme“, dichtet dazu dpa – was zumindest im Hinblick auf ausverkaufte Hallen sogar ein Körnchen Wahrheit zu enthalten scheint und kurzfristig sogar uns Hartgesottene hier ein wenig verblüfft hat – stammt „Ivan Rebroff“, der neuerdings überall seinen frisch organisierten, auf „Ivan Rebroff“ ausgestellten Paß herumzeigt, doch in Wirklichkeit aus Berlin-Spandau und heißt Hans-Rolf Rippert.
Keinen Käufer gefunden hat dagegen bislang die zwölf Meter hohe Blumenskulptur „Puppy“ von Jeff Koons. Einsam und ohne Liebe gammelt die 1992 noch mit 20.000 lebenden Blumen bestückte, vor dem Barockschloß Arolsen postierte, mittlerweile (nach Angaben des Kasseler Museumsdirektors Veit Loers) weit über eine Million Mark werte Stahlkonstruktion in Form eines überdimensionalen Terriers in einer hessischen Fabrikhalle vor sich hin. Tja, echte Sammler, da müßt ihr ran! Vereinigt euch, bildet Banden. Gründet „Puppy Park“. Nicht einmal Jeff Koons selbst will das Ding nämlich mehr zurückhaben. Der Transport nach den USA wäre teurer als eine Neuproduktion (die Koons bereits in Planung hat: „Puppy II, die Rückkehr der Hippiemonster“ o.s.ä.).
Sophia Loren wird in diesem Jahr Ehrengast der Berlinale sein (mehr davon zu gegebener Zeit...).
Und schon wieder Hessen: Der gesamtgesellschaftliche Trend zum Analen, der schon des öfteren auf diesen Seiten diagnostiziert wurde, hält unvermindert an. Das (ausgerechnet!) Museum Otzberg eröffnet anläßlich seines 20jährigen Bestehens eine Ausstellung mit dem schmunzelnerheischenden Titel „Rund ums stille Örtchen – eine Kulturgeschichte hinterlistigster Art“. Gezeigt werden ab dem Wochenende kultivierte Toiletteneinrichtungen der Römer, Aborterker mittelalterlicher Burgen bis hin zum flachländischen Plumpsklo.
Der mit 20.000 Mark dotierte Clemens-Brentano- Förderpreis für Literatur der Stadt Heidelberg wird in diesem Jahr nicht vergeben – was aber ausnahmsweise einmal nichts mit Gelderkürzungen und ähnlichen Engschnallereien zu tun hat. Die Jury konnte sich einfach nicht für die Auszeichnung einer der 135 eingesandten Arbeiten entscheiden. Irgendwie konsequent, finden wir.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen