Mehr Lohn, mehr Urlaub – und auch mehr Arbeit?

■ Der Tarifvertrag im Einzelhandel gilt nun auch für den Laden an der Ecke

Der Tarifausschuß der Hamburger Sozialbehörde hat die Tarifverträge für den Hamburger Einzelhandel rückwirkend für allgemeinverbindlich erklärt. Alle 90.000 VerkäuferInnen in der Elbmetropole haben damit Anspruch auf tarifliche Leistungen. Ihnen stehen rückwirkend zum 1. Januar 1993 Tariflohn (Gehaltstarifvertrag) und rückwirkend zum 1. Mai 1993 sechs Wochen Urlaub (Manteltarifvertrag) zu. Damit wurde mit fast einjähriger Verzögerung der bis Anfang vorigen Jahres gültige Zustand wieder hergestellt. Überdies müssen Gehälter und Ausbildungsvergütungen zum 1. Mai um 3,3 Prozent angehoben werden. Der Sprecher der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen (HBV), Lutz Eilrich: „Dieser Abschluß könnte richtungsweisend für andere Branchen sein.“

Normalerweise gelten Tarifvereinbarungen nur zwischen den Vertragsparteien, also Firmen, die Mitglied im Unternehmerverband, und MitarbeiterInnen, die Mitglied in der Gewerkschaft sind. Nun müssen auch der kleine Gemüseladen an der Ecke und die Mini-Boutique in der Ladenpassage mindestens Tariflohn zahlen. Während in größeren Betrieben der Betriebsrat auf die Einhaltung der tarifvertraglichen Vorgaben achtet, muß in kleinen Läden der Betroffene selbst auf der Hut sein: „Wo der Betrieb nicht das zahlt, was er eigentlich muß, muß der Angestellte es selber einklagen“, so Ulli Meinecke, HBV-Einzelhandelssekretär. Mitgliedern stellt die Gewerkschaft kostenlos einen Anwalt und führt den Prozeß.

Ein Tarifvertrag kann nur dann für allgemeinverbindlich erklärt werden, wenn Unternehmer und Gewerkschaften an einem Strang ziehen. Sie bilden nach einer Tarifrunde einen paritätischen Ausschuß (3:3), der nur mit Mehrheit die Empfehlung geben kann. Der Ausschuß stellt dann einen Antrag bei Bundesarbeitsminister Norbert Blüm, der in der Regel bei Regionaltarifverträgen die Prüfung des Antrages an seinen „Länder-Kollegen“, in diesem Fall die Hamburger Arbeitssenatorin Helgrit Fischer-Menzel, delegiert.

Für die Gewerkschaft hat die jetzige Regelung den Vorteil, daß alle Gewerkschaftsmitglieder in den Genuß von sechs Wochen Urlaub kommen und somit dem Urlaubs-Wild-West ein Ende bereitet wurde. Aber: Es kommen auch Unorganisierte in den Genuß der von der Solidargemeinschaft erkämpften Tarifvereinbarungen. Andererseits können nun Betriebe, die nicht im Verband sind, keine individuelle Kostendämpfung durch Niedrig-Gehälter mehr betreiben.

Einen Haken hat die Allgemeinverbindlichkeitserklärung allerdings aus gewerkschaftlicher Sicht: Der im Manteltarifvertrag geregelte Ladenschluß (täglich 18.30 Uhr, donnerstags: 20.30 Uhr) ist ausdrücklich ausgeklammert worden. Sollte in Bonn nun tatsächlich der Ladenschluß gekippt werden, dürften Läden, die nicht im Einzelhandelsverband sind, länger öffnen. Die Läden im Einzelhandelsverband sind hingegen tarifvertraglich an die jetzigen Öffnungszeiten gebunden.

Kai von Appen