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Gepanzerte Recyclingwirtschaft

Regierungen konkurrieren mit den heimischen Waffenbauern, um die durch Abrüstung überflüssig gewordenen Altbestände loszuwerden  ■ Von Otfried Nassauer

Berlin (taz) – Bis zu 350.000 Arbeitsplätze werden zwischen 1991 und 1995 in der westeuropäischen Rüstungsindustrie verlorengehen, orakelte Sipri, das Stockholmer Internationale Friedensforschungsinstitut, im April 1992. Die Friedensforscher irrten. Allein in der Bundesrepublik werden mindestens 140.000 der 1990 noch 280.000 Arbeitsplätze in der Rüstungsindustrie (ohne Zulieferindustrie) bis 1995/96 abgebaut. Bei 350.000 verlorenen Jobs in Westeuropa wird es nicht bleiben.

Der Markt für Waffen schrumpft. Sipri zählt in seinem Jahresbericht 1993: Der Weltrüstungsmarkt für Großwaffen ist von 46,5 Mrd. US-Dollar 1987 auf 18,4 Mrd. US-Dollar 1992 zurückgegangen. 1992 exportierten die europäischen Nato-Staaten Waffen für 4,7 Mrd. Dollar, 1987 waren es noch 7,65 Mrd. Dollar. Das Gros dieser Exporte ging an andere Industriestaaten. In die Staaten der Dritten Welt exportierten Großbritannien, Frankreich, Italien und die Bundesrepublik 1992 zusammen Waffen für knapp 1,5 Mrd. Dollar. Ein Betrag, den Frankreich oder Großbritannien in vergangenen Jahren alleine ohne Probleme überboten. Nicht besser steht es um die Inlandsnachfrage: Die Bundeswehrbeschaffung ging von rund 11 Mrd. Mark am Ende des Kalten Krieges auf etwa die Hälfte in diesem Jahr zurück.

Die Großabnehmer der Vergangenheit – sie sind nicht mehr: Japan baut seine Waffen zunehmend selber und reduziert seine Rüstungseinkäufe seit zwei Jahren auf die Hälfte. Indien bedient sich insgesamt weniger und vorrangig aus dem russischen Angebot. Die Türkei und Griechenland importieren vor allem Gebrauchtes, und für marktgerechte Preise eignen sich die Kinder aus dem Armenhaus der Nato weit weniger als für militärische Care-Pakete. Ägypten, Israel und Pakistan reduzieren ihre Rüstungsimporte aufgrund der veränderten Lage. Syrien kann vorübergehend etwas mehr bestellen; der Iran importiert wieder, vor allem aber aus der GUS.

Die Ölstaaten am Golf, allen voran Saudi-Arabien, nach dem Krieg gegen den Irak bevorzugt als Kunden für neue Waffen umworben, haben zwar Milliardenaufträge unterzeichnet bzw. angekündigt, diese stehen aber erst in Jahren zur Abwickung an und sind nicht mehr sicher: Die Golfstaaten haben erhebliche Finanzprobleme, seit der Ölpreis von rund 18 Dollar pro Barrel auf zehn bis elf Dollar gefallen ist. Saudi-Arabien kürzt seinen Staatshaushalt 1994 um rund 20 Prozent und verhandelt mit den USA über eine Streckung der Geschäfte. Neue, langfristig zahlungskräftige Abnehmer sind nicht in Sicht: Die Staaten Südostasiens, von Verteidigungsminister Rühe jüngst vor Ort als Importeure umworben, weisen zwar erhebliche Wachstumsraten auf, können sich aber allenfalls begrenzt und sukzessive mit teurer, westlicher Waffentechnik ausstatten. Zudem sind sie unangenehme Kunden, fordern sie doch oft einen mit dem Rüstungskauf verbundenen Technologietransfer, der künftige Exportchancen mindert.

Nur Taiwan leistet sich neuwertige Rüstung in großem Umfang; Verträge für 10 Mrd. Dollar wurden 1992 nach US-Angaben abgeschlossen. Doch ist deren Realisierung ebenfalls ungesichert. Aus Sicht der Industrie sind die Perspektiven wahrlich keine rosigen. Das gewinnträchtige Geschäft mit dem Export neuer Großwaffensysteme steht für die nächsten Jahre unter einem ungünstigen Stern.

Hart treffen die Geldprobleme am Golf vor allem die USA, Frankreich und Großbritannien. Beispiel USA: 72 Jagdbomber F-15E werden für 9 Mrd. Dollar für Saudi-Arabien produziert; ohne diesen Auftrag ist das geplante Folgegeschäft mit Israel in Gefahr. Oder: Nach Angaben aus der US-Industrie ist die laufende Produktion schwerer M- 1-Panzer für Saudi-Arabien und Kuwait Voraussetzung dafür, im Wettbewerb um die künftige schwedische Panzerausstattung bestehen zu können.

Für die Industrie kommt die Konkurrenz vermehrt aus dem eigenen Land: Westliche Regierungen verhökern die Altlasten des Kalten Krieges, reduzieren ihre Waffenbestände und sättigen so den Markt mit billigem Gebrauchtem. Die Bundesrepublik zieht es zudem vor, Wafen der NVA zu symbolischen Preisen zu vermarkten, statt sie teuer zu verschrotten. Trotz deutlich kleineren Finanzvolumens laufen deshalb regionale Rüstungswettläufe weiter auf Hochtouren.

Griechenland und die Türkei, 1992 nach Sipri die größten Rüstungsimporteure, bekommen z.B. aus Beständen ihrer Nato-Partner die Ausstattung für die ganze Armee geliefert. Nach Angaben der Lieferländer gegenüber der UNO erhielt Griechenland 1992 592 Kampfpanzer, 206 gepanzerte Kampffahrzeuge, 243 großkalibrige Artilleriegeschütze, 28 Kampfflugzeuge und neun Kriegsschiffe. Die Türkei bekam 588 Panzer, 325 Kampffahrzeuge, 75 Geschütze und 40 Flugzeuge. Die Bundesregierung bestätigte jüngst, daß die US-Army aus ihren Beständen in Deutschland 1993 mindestens 330 weitere Kampfpanzer an Ankara geliefert hat. Kleinwaffen- und Munitionsexporte, typische Ausstattung für Bürgerkriege und lokale Konflikte, werden von keiner öffentlichen Statistik erfaßt. Allein die Bundesrepublik lieferte zum Beispiel der Türkei im Rahmen der Golf-Hilfe u.a. 256.126 Kalaschnikows, 5.000 Maschinengewehre, 5.000 Panzerfäuste samt mehreren hundert Millionen Schuß Munition. Die Rüstungshilfe ist für die Türkei willkommene Unterstützung bei der militanten Lösung der Kurdenfrage – nach türkischer Lesart „Terrorismusbekämpfung“ und Aufgabe im Rahmen der Nato, die „in Übereinstimmung mit den nationalen Gesetzen“ durchgeführt wird. Ägäis und Balkan, so lauten die Stichworte für die konfliktträchtigen Interessen der beiden Nato- Länder.

Gänzlich konnte die kommende Flaute der Rüstungsindustrie nicht verborgen bleiben. Widerstrebend nur nahm die deutsche Industrie das Wort „Konversion“ in ihren Sprachschatz auf – geprägt von der Hoffnung, dem Auftraggeber Staat nun Subventionen für die erforderliche „Strukturanpassung“ aus dem Haushalt leiern zu können. Doch für Konversion gab es lediglich Millionen, nicht die gewohnten Milliarden aus dem Staatssäckel. Seither ist Konversion wieder out und nur noch für die Reformdebatte Ost zu verwenden. Politik dagegen wird jetzt via Arbeitsmarkt gemacht.

Waren für nennenswerte Eigeninvestitionen der Industrie in Konversions- oder Diversifikationsprojekte keine Mittel vorhanden, so zeigt sich nun, daß stille Reserven existieren: Die deutsche U- Boot-Industrie hat der Hardthöhe in internen Gesprächen bereits im Sommer letzten Jahres angeboten, ihre Kapazitäten auf eigene Kosten zu erhalten. Das Engineering für die neuen Bundeswehr-U- Boote U212 soll – staatliche Finanzierung ist erst 1995/96 möglich – sofort beginnen. Die Industrie finanziert vor – zinslos. So sollen die „industriellen Mindestkapazitäten“ erhalten werden, definiert als die Fähigkeit, einen Bundeswehrauftrag und parallel dazu ein Exportgeschäft abwickeln zu können. Ähnlich der amerikanische Rüstungsgigant McDonnell Douglas: Um das F-15-Geschäft mit Saudi- Arabien abzusichern, bemüht sich der amerikanische Flugzeughersteller (inoffiziell natürlich) um eine Finanzierung über den privaten Kapitalmarkt.

Not macht zudem eigennützig: Die bundesdeutsche Rüstungsindustrie soll durch mehr Exporte gerettet werden. So sollen zum Beispiel Schiffe zur Minenabwehr künftig nicht mehr unter das Kriegswaffenkontrollgesetz fallen. Ihr Einsatz erfolge vorwiegend „im Sinn humanitärer Unterstützung“, heißt es in einem internen Bonner Papier zur Marinerüstung. Über die Rüstungsexportoffensive sind sich Industrie und Regierung mit schweigender Billigung sozialdemokratischer Regionalfürsten inzwischen einig. Auch wenn sie ein Holzweg ist angesichts der weltweit veränderten Märkte, auf denen Rüstungs-High-Tech zunehmend zum Dinosaurier wird.

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