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Im Niemandsland des ÖPNV

■ In dem Städtchen Barmstedt wurde per Bürgerentscheid die Verkehrsberuhigung des Ortskerns verhindert - Autofetischismus oder Basisdemokratie? Von Uli Mendgen

Wenn sich die Türen knarrend schließen und der Triebwagen ruckend in Fahrt kommt, ist das Schlimmste überstanden. Zwei Mal umsteigen auf zugigen Bahnhöfen, zwanzig Minuten warten auf die „grüne Welle der Vernunft“, und schon nähert sich der Fahrgast im altersschwachen Nahverkehrszug dem äußersten Punkt auf der HVV-Karte: dem 9000-Seelen-Städtchen Barmstedt in Schleswig-Holstein.

Zwischen Hamburgs Stadtgrenze und Barmstedts Kirchturmspitze liegen vielleicht 30 Kilometer – auf jeden Fall aber eine Weltreise mit der Bahn. Runde 60 Minuten dauert „der bessere Weg“ des Hamburger Verkehrsverbunds, und am Fahrkartenautomaten setzt es die Höchststrafe: Preisstufe vier, Kontrolle so gut wie sicher. Dabei ist es nicht mal mehr die S-Bahn, sondern die schüttere AKN, die einen die letzten Meter durch Feld und Wiesen rüttelt. Zurückbleiben bitte! Schon geschehen...

Hier auf dem platten Land, wo dem Auto seit Jahrzehnten Vorfahrt gewährt wurde, fällt die Suche nach einer verkehrspolitischen Alternative umso schwerer. In Barmstedt mischten sich dieser Tage zur Abwechslung einmal die betroffenen Menschen ein: per Bürgerentscheid. Ein Erfolg für die Basisdemokratie und die von der SPD-Landesregierung betriebene Reform der Gemeindeordnung. Doch leider (oder zum Glück?) fielen ausgerechnet die lokalen Pläne zur Verkehrsberuhigung dem Willen des Volkes zum Opfer.

Im Niemandsland des öffentlichen Nahverkehrs wird das Auto zum ständigen Begleiter – so auch in Barmstedt, von wo viele täglich nach Hamburg zur Arbeit fahren müssen. Historisches Kopfsteinpflaster in der Hauptstraße? Weg damit, riefen die Stadtväter in den 70er Jahren und ließen fleißig planieren und asphaltieren.

Nun aber stößt die Automanie an ihre Grenzen. Rund 11.000 Fahrzeuge brummen Tag für Tag durch das Zentrum, darunter auch der gesamte Schwerlastverkehr zwischen Neumünster, Elmshorn und Hamburg. Wenn nachmittags ab 16 Uhr die Rush Hour einsetzt, ist es aus mit der Ruhe in dem ansonsten reichlich verschlafenen Provinzort. Radfahrern und Fußgängern bleibt nur noch die Flucht.

„Dann verstehe ich hier am Telefon kein Wort mehr“, erzählt Wolfgang Johannsen, stellvertretender Bürgermeister von Barmstedt, „und für Mütter mit Kinderwagen wird es gefährlich“. Auch CDU-Stadtrat Johannsen, Hausbesitzer an der Durchgangsstraße, war mit den Vertretern von SPD, FDP und Freien Wählern im Stadtparlament einig: Eine Verkehrsberuhigung für den Ortskern muß her.

Auch der Einzelhandel, in Hamburg wie in anderen Städten nicht gerade autofeindlich eingestellt, stimmte zu. Denn bis zum Jahr 2000, so ein Gutachten, wird der Verkehr noch einmal um 40 Prozent zunehmen. Und Einkaufen macht im Nebel giftiger Abgase keinen Spaß.

Doch es folgte ein Lehrstück in Sachen Bürgerferne: Mit dem von der Stadtvertretung bereits beschlossenen Umgestaltungsplan wollte sich eine Anwohnerinitiative ganz und gar nicht anfreunden. Denn statt des Zentrums sollte nun ein Wohngebiet die tägliche Blechlawine erdulden.

Dort existiert bereits seit den sechziger Jahren eine Umgehungsstrecke, die jedoch nie als solche ausgewiesen wurde. Die angrenzenden Flächen wurden längst als billiges Bauland vergeben. Kaum fünf Meter vom Straßenrand stehen heute Sozialwohnungen, Reihenhäuser, Schulen und Kindergärten. Eine „Holzhammerlösung“ nennt daher Ernst Bielefeldt von der Interessengemeinschaft der Anwohner das Vorhaben der Stadtregierung, „hier wird Verkehr nicht verhindert, sondern nur verlagert“.

Schützenhilfe erhielten die Bürger von der „Barmstedter Linken Liste“ (BAL). Statt einer verkehrsberuhigten „Prestigemeile“ im Stadtzentrum verlangte sie Tempo 30, und zwar flächendeckend.

In ihrer Not erinnerten sich die Anwohner der reformierten schleswig-holsteinischen Gemeindeordnung. Mit dem Einverständnis eines Zehntels aller Wahlberechtigten kann ein kommunaler Bürgerentscheid auf den Weg gebracht werden, der mißliebige Beschlüsse der Stadtpolitiker für ungültig erklärt. In Barmstedt nicht gerade ein Problem: 900 Unterschriften waren schnell gesammelt.

Auch die zweite Hürde nahmen die Gegner der Verkehrsberuhigung aus dem Stand: Beim Bürgerentscheid am Wochenende sprachen sich mehr als 25 Prozent aller Wahlberechtigten gegen die geplante Verkehrsführung aus – die war somit unter die Räder gekommen.

Statt Beruhigung nun heller Aufruhr im Barmstedter Rathaus: „Wie im letzten Jahrhundert“, schimpft CDU-Mann Johannsen voller Enttäuschung über die Ablehnung seiner „tollen Maßnahmen“. Bereits bewilligte Landesgelder von über einer Million Mark seien nun für immer die Krückau hinunter. Jubel dagegen bei den Anwohnern: „Der Arroganz und Bürgerfeindlichkeit“ der Parteien, so Sprecher Bielefeldt, sei eine deutliche Abfuhr erteilt worden. Sprichts und braust davon in seinem Wagen.

Denn auf den, so hat der passionierte Autofahrer bereits öffentlich bekannt, wolle er auch in Zukunft nicht verzichten.

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