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Mit Haut, so dünn wie Zigarettenpapier

■ Aids als Leitmotiv: Ken McMullen beobachtet den schwerkranken Derek Jarman und Knud Vesterskov machte ein eitles und aufgeregtes Roadmovie zum Thema

Recht unterschiedlich begegnen zwei Filmemacher zwei Männern, die in der Gesellschaft sonst act- uppend Seite an Seite gewähnt werden : Derek Jarman und David Wojnarowicz. Der eine lebt in Dungeness bei London, züchtet schöne Blumen und Stahlskulpturen im Vorgarten eines kleinen Häuschens und malt abstrakt-expressive Bilder; der andere stromert durch Amerika, vögelt sich von Schwulenbar zu Schwulenbar, sitzt danach depressiv in irgendeiner Absteige und schreibt seine Einblicke ins bejammernswerte Leben während der Reagan-Jahre nieder. Wojnarowicz ist 1992 an Aids gestorben, Jarman hat den Tod noch vor sich.

„There We Are, John“ wurde vom British Council als eine Art dokumentierende Einführung in das Filmwerk Derek Jarmans in Auftrag gegeben — die britische Kulturförderung hat sich auf eine sehr bald zu erwartende Retrospektive eingestellt. Sowohl Ken McMullen als auch John Cartwright, der das Interview mit Jarman führte, lassen von Beginn an keinen Zweifel am Requiemcharakter der Befragung: Starre Schwarzweiß-Bilder, Trauersoundtrack, während Cartwright die meiste Zeit schweigsam mit gesenktem Blick und gefalteten Händen neben Jarman sitzt. Die Fragen kommen sparsam, auf Dignität bedacht, ohne das Sterben des Regisseurs anzusprechen. Warum er von der Malerei zum Film gekommen sei? Wie die Reaktionen bei den ersten Festivals waren? Ob er seine Schauspieler für „Caravaggio“, „Edward II.“ oder „Wittgenstein“ nach deren Ähnlichkeit mit den Originalen ausgesucht hat? Und schließlich — etwas angespannt und unwohl auf dem Stuhl herumrutschend: War „Blue“ nun der letzte Film? Jarman antwortet seelenruhig, lacht, bohrt in der Nase und wirkt keine Sekunde wie ein Opfer. Er, der nur noch in der Krankheit lebt, braucht sich vorm Sterben nicht mehr zu ängstigen. Diesen Zustand hat er lange durchgespielt: Stunde für Stunde, jeden Tag, so wie er es in seinen Tagebüchern zu „Blue“ beschreibt. Das alles hat ohne Zweifel etwas von den letzten Gesprächen mit Sokrates, diese leichte Schwere, mit der der Philosoph in „Phaidon“ seine Skepsis bis zur letzten Sekunde hegt: „Die Avantgarde ist tot, schon seit Duchamp“, sagt Jarman auf die Frage nach seiner Filmkunst, und daß alles „ein großer Spaß war“. Aber seine in Folge der Aids-Behandlung erblindeten Augen irren dabei unsicher durch den Raum, versuchen eine Kamera ausfindig zu machen. Dann wieder begreift er die Unmöglichkeit einer Begegnung mit denen da draußen, auf der anderen Seite der Augen: Wer Krankheit filmen wolle, bewege sich auf einem „dodgy area“ — auf abgewracktem, heruntergekommenem Boden. Nur Ruinen sind geblieben, und die früher so warme Stimme schwankt ungelenk dazwischen hindurch, fast wie betäubt.

Knud Vesterskov hat sich für „By The Dawn's Early Light“ gar nicht erst den Unwägbarkeiten ausgesetzt, die Wojnarowicz' Sterben begleiteten. Wojnarowicz, der dandyhafte Rebell, der den rechten US-Politiker Jesse Helms am liebsten mit Benzin übergossen hätte, stellt noch immer den Radikalenflügel der amerikanischen Schwulenbewegung. Bleich und übernächtigt, mit Haut, so dünn wie Zigarettenpapier hat ihn Nan Goldin vor einem roten Vorhang sitzend fotografisch festgehalten. Ein Bild, das sich einprägt.

Vesterskov dagegen bedient sich der Stimme und filmt rund um die Legende herum. Statt der Person Wojnarowicz entsteht ein diffuses Videogeblubber, nebenher läuft schlecht getimter Schwulendisco-Soundtrack, der sich an schwarzem Funk versucht, aber keinen Rhythmus hat, und noch weniger Soul. Wo Wojnarowicz in seinen Texten leidet, zum Opfer wird, wo ihn Männer in Keller schleppen, mit dem Kopf gegen die Wand klatschen, fesseln, durchrammeln, wieder und wieder, bis ihm vom Oralverkehr die Zunge geschwollen ist, bleibt Vesterskov kalt wie ein Fisch und zeigt: Las- Vegas-Strip-Shows oder Highways oder Tittenplakate in Pornokinos am Time Square, oder tretende und knüppelnde Bullen. Vor allem aber Video-Künstlerisches — sich überlagernde Negativ-Bilder, die eine schwache Aura simulieren; doppelt belichtete Menschen im Rotlicht, Kloschüsseln, die bei der Erwähnung von dirty sex im Text zwischen den Konturen einer Dreiergruppe schwuler Tänzer hervorblitzen.

Vesterskov will mit seiner 70minütigen Reise ins Schmuddel- Amerika von untenrum provozieren, bleibt aber bloß eitel und aufgeregt. Was da letztendlich an Klischees vorbeifließt, ist sowieso gleichgültig: „We have to find our own gestures, not that of the media“, parliert Wojnarowicz ein wenig hilflos gegen Vesterskovs Bilderreigen an. Aber Wojnarowicz hat ja schon zu Lebzeiten kaum jemand zugehört. Harald Fricke

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