: Medaillen im Frischhaltebeutel
Alberto Tomba, seine Majestät Alpinissimo, ist im Riesenslalom ausgeschieden / Die sportliche Bühne gehörte Markus Wasmeier ■ Aus Hafjell Cornelia Heim
„Dann kann ich ja wieder gehen.“ Alberto Tomba, Superstar, mag es nicht, wenn er auftritt und es bereits von Protagonisten wimmelt. Und italienische Journalisten haben doch glatt die Ignoranz besessen, seiner Majestät Alpinissimo ins Gesicht zu sagen, daß sich die italienische Mannschaft, schon bevor Albertone überhaupt in Erscheinung trat, doch recht gut im Medaillenabkassieren erwiesen habe. Albertone, der Große, wie er sich vorzugsweise bescheiden rufen läßt, kann versichert sein: Die Après-Ski-Show stiehlt ihm keiner. Ob Tomba, la Bomba, gewinnt oder ausscheidet wie gestern, ist sekundär. Vorrangig ist die Aura, die er sich umlegt wie eine frierende Diva die Stola. So kann der 27jährige gar nicht verlieren. Nicht in der Wirklichkeit, denn die ist seine Bühne.
Auch gestern beim Riesenslalom. In jener Disziplin, in der sich Tomba, der um so dürftiger trainiert wie er verdient, bereits belohnt hat: Gold in Calgary, Gold in Albertville. Niente in Hafjell! Die sportliche Show stahlen ihm andere – Markus Wasmeier, den er, ganz faire Grandezza, um 14 Uhr auf die Schulter hob. Seine Hoheit Tomba, der Stangenkönig, selbstgekrönter Hauptdarsteller des alpinen Skizirkus, weiß, was er wert ist. Keiner könne „kraftvolle Athletik mit tänzerischer Eleganz so genial verbinden“ wie er, sagt Rosi Mittermaier über den vielseitig begabten Mann.
Die Fans verzeihen ihm seine Großmannssucht (der Millionärssohn soll acht Millionen Mark jährlich verdienen), seine Großspurigkeit mit dem Hang, jede Piste, der seine 90-Kilo-Wenigkeit die Ehre erwiesen hat, umzutaufen („Albertoville“, über „Lilletomba“ sinniert er verständlicherweise noch), seine Starallüren (er trainiert mit eigenem Hofstaat). Wahrscheinlich lieben sie ihn gerade wegen seiner Extravaganzen.
Wem drücken schon so viele Fanclubs mit Fahnen und Kuhglocken im Zielraum die Daumen? Wer bekommt bei dieser Kälte Liebeserklärungen, schriftlich, per Plakat: „Wir sind nur wegen Dir gekommen, Forza Alberto!“ Forza Alberto schwächelte. „Da kann ja ebensogut ein Pinguin gewinnen“, schimpfte er angesichts der Kälte vor dem ersten Lauf – und wurde nur 13. Mit 1,19 Sekunden Rückstand – eine halbe Ewigkeit. Im zweiten kurz vor Toresschluß ausgestiegen. Dabei hatten sich die norwegischen Veranstalter ein Tomba-spezifisches Aufwärmprogramm einfallen lassen: 25 Frauen fuhren den Zielhang ein. Doch das „Kjerringtreff“ konnte Tomba – „beim Rennen interessieren mich die Zuschauerinnen an der Piste am meisten“ – nicht so recht animieren. Der küchenbeschürzte „Hausfrauentreff“ war Alberto, der mit Miß Italien liiert ist, wohl eine Spur zu bieder.
Tomba stützt sich auf seine Stöcke. Sein ständiger Begleiter, Roberto Brunner, hilft dem Maestro in die Jacke, stellt die Ski zusammen, bringt den Kaffee. Lange behält Tomba den Sturzhelm auf. Schüttelt den Kopf. Wirkt müde, verbraucht. Aber er steht in der Sonne. Die Konkurrenz – die bessere – auf der Schattenseite des Zielraumes. Er wartet. Auf was wohl? Die zweite Chance? Der Mediensprecher wird ungeduldig, die Fernsehsender fordern ihr Recht. Allora, also gut. Und da ist es wieder, das Pokerface. Tombas Dreitagebart verstrahlt das Keep- Smiling, das man von ihm erwartet.
Das Interview nach dem ersten Durchgang fällt kurz aus. Zwei Betreuer schirmen Tomba vor den Kameras ab. Er wird abgeführt. Kommt an Christian Mayer, dem noch Führenden, vorbei. Ein herablassender Klaps auf die Schulter, der 22jährige Mayer dreht sich um, Tomba auf italo-amerikanisch: „Wow, how did you do that?“, hinterläßt einen etwas perplex dreinschauenden Österreicher. In psychologischer Kriegführung ist keiner beschlagener. „Great“ fühle er sich, antwortet er einem amerikanischen TV-Team und plappert munter italienische Wortkaskaden ins Mikro, woraufhin auch die Fernsehfrau konsterniert selbiges sinken ließ: „What did he say?“
Ja, Tomba ist gut im Erzählen. Daß er ohne Pasta vor dem Rennen nur ein halber Bomba sei. Daß er Journalistinnen gerne demonstrieren würde, daß er höchstselbst die Kunst der Spaghetti al dente beherrsche. Und so weiter. Tomba pflegt die eigenen Klischees. Und nur wer die Ohren spitzt, bemerkt, daß sich hie und da etwas nachdenklichere Töne dazwischengesellen. „Manchmal brauche auch ich Ruhe, ist es mir ganz lieb, wenn ich nicht immer zur Verfügung stehen muß.“ Sollte etwa der Medienstar Tomba, den Sylvester Stallone schon zum Filmemachen nach Hollywood eingeladen hat, des Rummels überdrüssig werden? „Die, die mich wirklich mögen, verstehen, wenn ich mal nicht in Form bin.“ Ein Schauspieler demaskiert sich? Nein, ein Clown weint nur in der Kabine. Oh, seine vier olympischen Medaillen? Ja, die habe er gut versteckt, „im Frischhaltebeutel, damit sie nicht so schnell verderben“.
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