: Konservativ, aber offen
■ Gesichter der Großstadt: Denise Wittkopf, Mitglied der Jungen Union und der CDU, engagiert sich für Jens Reich, unabhängiger Bewerber um das Amt des Bundespräsidenten
Der Kandidat ist ein schwieriger Mensch. „Ja“, sagt Denise Wittkopf, „an dem Tag war er nicht so gut drauf.“ Das Bildbüro der Deutschen Presse-Agentur ist unzufrieden, verlangt einen neuen Fototermin. „Ich werde mit ihm reden“, versichert sie dem Anrufer und macht sich eine Notiz. Wer in diesen Tagen mit Jens Reich sprechen will, kommt an Denise Wittkopf nicht vorbei. Selbstbewußt führt sie den Terminkalender des einzigen ostdeutschen Bewerbers um das Amt des Bundespräsidenten. Das Telefon klingelt ununterbrochen. Jemand hat einen Radiospot entworfen und will ihren Rat. „Das klingt ja wie fünfziger Jahre.“ Dann meldet sich ein Bekannter, der sie vor kurzem im Fernsehen gesehen hat. „Ach, das Interview war doch schrecklich, Doppelkinn und dicker Bauch“, lacht sie und blickt dabei kokett vom Telefonhörer hoch. Denise Wittkopf ist sich ihrer Wirkung bewußt, hat Erfahrung im Umgang mit den Medien. Trotz ihrer erst 23 Jahre kann sie bereits auf einen ansehnlichen politischen Lebenslauf zurückgreifen: Bezirksverordnete der CDU im Prenzlauer Berg, Mitglied der Jungen Union, zuvor Bundesvorsitzende der Jugend des Demokratischen Aufbruchs (DA) in der ehemaligen DDR.
Daß ausgerechnet ein Parteimitglied einem unabhängigen Kandidaten hilft, ist für die Ostberlinerin kein Widerspruch. „Wir kommen ja beide aus der Bürgerbewegung.“ Schnell habe sie sich mitreißen lassen von der Idee, daß jemand „aus der Mitte der Gesellschaft“ das höchste Amt im Staate bekleiden sollte. Dem Verein „Bürgerpräsident Jens Reich“, von Mitgliedern der Jungen Union, Jungsozialisten, Jungen Liberalen und Grünen gegründet, trat sie einen Tag nach dem Abgang des CDU-Kandidaten Steffen Heitmann bei. „Ein Zufall“, beteuert sie. Mit Urteilen über den gescheiterten Kandidaten Heitmann und den neuen CDU-Bewerber Herzog hält sie sich merklich zurück, flüchtet ins Allgemein-Unverbindliche. Gegen Heitmann sei sie schon „gefühlsmäßig“ gewesen, das könne sie „rational“ nicht erklären, bei Roman Herzog bleibe sie „leidenschaftslos“. Sie müsse einen Kandidaten kennen, um sich für ihn einzusetzen, und den Werdegang von Jens Reich habe sie seit längerem aus der Ferne beobachtet, begründet sie ihren Entschluß.
In die Politik geriet Denise Wittkopf durch eine Notlage. Sie war gerade zwei Wochen im Büro des DA-Mitbegründers und Pfarrers Rainer Eppelmann, als sie im März 1990 an den Runden Tisch in Ostberlin geschickt wurde. Frauenthemen standen zur Diskussion, und weil in diesem Augenblick kein weibliches Wesen greifbar war, „hat die DA einfach mich hingeschickt“. Der Umgang mit Ministern, die Kameras und das Blitzlichtgewitter verdrehten ihr damals den Kopf. „Total abgehoben“ sei sie in diesen Wochen gewesen. „Ich habe mir gesagt: du wirst Politikerin.“ Dem Höhenflug folgte schon sehr bald die Ernüchterung, nachdem die DA der CDU beigetreten und die aufregende Zeit des Umbruchs der Normalität gewichen war. Von einer Karriere innerhalb der Partei hat sie mittlerweile Abstand genommen. „Ich bin nicht der Typ, der nächtelang in Kneipen sitzt und Mehrheiten zusammenschustert.“ So verzichtete sie im vergangenen Jahr auf eine weitere Amtsperiode als Schatzmeisterin der Jungen Union, in der sich seit geraumer Zeit Reformer und Konservative bekämpfen. Manch einer aus der Nachwuchsorganisation der CDU hat ihre Entscheidung für Jens Reich als „Profilierungssucht“ gedeutet. Ein Vorwurf, den sie von sich weist. Es gehe ihr „um das Engagement, so wie damals, als wir in der DDR auf die Straße gingen“. Für diese „Pflicht“ zum Einmischen, wie sie ein ums andere Mal betont, hat sie ein Urlaubssemester an der Freien Universität genommen, wo sie Jura studiert.
Den Kandidaten sieht sie fast täglich. Ihr Büro, das vom Verein angemietet wurde und von dem sie auch ein Honorar für ihre Tätigkeit erhält, befindet sich auf dem weiträumigen Gelände vom „Max- Delbrück-Centrum für molekulare Medizin“ in Berlin-Buch, der Arbeitsstätte von Jens Reich. In diesen Wochen, da sie ihn aus nächster Nähe begleitet, hat die junge Christdemokratin eine Gemeinsamkeit festgestellt. Jens Reich sei wie sie, „in seiner Art zu leben und zu denken, eigentlich ein Konservativer“. Der, so fügt sie aber schnell hinzu, „daraus kein Dogma macht, sondern für vieles offen ist“. Severin Weiland
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