: Wann kommt der echte Crash?
An den Börsen haben sich die Aktienkurse erholt / Der Kursrutsch von Mittwoch zeigt: Die Händler sind nervös / Auch G 7 fürchten Turbulenzen ■ Von Donata Riedel
Berlin (taz) – Eine Jahreszahl schwebt drohend über den Börsensälen der Welt: 1987. Damals, an einem später „Schwarz“ genannten Montag, hatten die Kursstürze ein Viertel des in Aktien angelegten Vermögens vernichtet. Gestern allerdings ging ein erleichtertes Aufatmen durch die Reihen der Börsenprofis, als die Kurse an der Frankfurter Börse leicht nach oben kletterten: Der Schwarze Mittwoch war in Wirklichkeit nur ein grauer Tag gewesen. In Tokio verlor der Nikkei-Index für die 225 wichtigsten Aktien zwar noch 0,7 Prozent und in Hongkong der Hang Seng 0,8 Prozent.
Dann aber war der Spuk vorbei. Der Deutsche Aktienindex Dax kletterte wieder um 0,9 Prozent auf 2.037,90 Punkte, nachdem es am Mittwoch zu einem deutlichen Kurseinbruch von 2,26 Prozent gekommen war.
Trotzdem mag kaum jemand unter den Börsenprofis glauben, daß nun alles wieder gut wird und die Börse in diesem Jahr einfach weiterboomt, wie die Beobachter der Deutschen Bank noch im November meinten. „So etwas wie am Mittwoch steckt man nicht einfach weg“, sagte der Sprecher der Commerzbank, Peter Pietsch.
Mit der Horrorvision vom ganz großen Crash der Aktien- und Kapitalmärkte beschäftigten sich am vergangenen Samstag in Frankfurts Nobelvorort Kronberg bereits die Finanzminister und Notenbankchefs der sieben reichsten Industriestaaten (G 7: USA, Japan, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien und Kanada).
Wie anschließend durchsickerte, waren sich die mächtigsten Finanzpolitiker und Zentralbanker der Welt weitgehend einig, den Börsianern zu signalisieren: Die Zinsen in Deutschland und Japan bleiben weiter auf Talfahrt, unabhängig von den tendenziell steigenden Zinsen in den USA. Steigende Leitzinsen wirken sich negativ auf die Aktienkurse aus, weil die Firmen mit höheren Kreditkosten bei Investitionen rechnen müssen, und das schmälert den Gewinn.
Das Signal, das dann am Mittwoch kam, war ein völlig anderes: Die Meldung der Bundesbank, daß im Januar die Geldmenge M 3 um 20,6 Prozent gewachsen ist, ließ die Mehrheit der Börsianer ein Ende der deutschen Niedrigzins- Politik befürchten. Schließlich hatten die Bundesbanker M 3 immer als wichtigste Orientierungsgröße bei der Einschätzung der Inflationsgefahr bezeichnet. Um die Geldmenge M 3, zu der das Bargeld, Spar-, Termin- und Sichteinlagen zählen, inszeniert die Bundesbank alljährlich ein wahres Ritual.
Auf der letzten Dezember-Sitzung des Zentralbankrates wird für das nächste Jahr als „Zielkorridor“ festgelegt, um wieviel M 3 wachsen darf: 1994 um vier bis sechs Prozent. Soviel mehr an Geld hält die Bundesbank für nötig, um den Wirtschaftskreislauf in Schwung zu halten. Überschreitet M 3 jedoch den Zielkorridor, droht Inflation – der die Bundesbank normalerweise mit höheren Leitzinsen entgegentritt.
Die Börsianer hatten also allen Grund, bei der Bekanntgabe des Geldmengenwachstums – das so hoch war, wie sonst nur 1990, als die gesamte Ex-DDR mit neuen D-Mark versorgt werden mußte – an steigende Zinsen glaubten. Da nützte es auch wenig, daß die Bundesbanker versuchten, die Schuld auf „Sonderfaktoren“, wie hohe Kreditaufnahmen und das kurzfristige Parken großer Summen auf Girokonten, zu schieben.
Immerhin erreichten die Währungshüter, daß sich gestern die Diskussionen der Börsianer nicht mehr um höhere Zinsen, sondern um M 3 drehten, in die vor allem kurzfristige Anlageformen eingehen, während langfristige Anlagen außen vor bleiben. Hat M 3 überhaupt etwas mit der Inflation zu tun? fragten viele ketzerisch angesichts der Tatsache, daß die Inflationsrate im vergangenen Jahr abgenommen hat, obwohl M 3 ständig stärker wuchs, als ihr der Zielkorridor vorschrieb.
Darüber haben sich „die Märkte konsolidiert und sind wieder zur Tagesordnung übergangenen“ wie es auf dem Frankfurter Parkett hieß. Die Tatsache, daß der Zentralbankrat gestern die Leitzinen unverändert ließ, habe vorerst Ruhe an der Zinsfront geschaffen.
Die heftige Reaktion vom Mittwoch auf die Geldmengen-Meldung zeigt jedoch, wie nervös viele Wertpapierhändler sind. Bereits vor einem Monat war es in Frankfurt zu einem Kursrutsch um drei Prozent gekommen, nachdem die US-Notenbank den Tagesgeldsatz um ein Viertelprozent auf 3,25 Prozent angehoben hatte. Händler beschworen die Erinnerung an 1987. Mit den fallenden Zinsen hatten damals die Börsen über Monate geboomt – bis eine kleine Leitzinserhöhung den Crash auslöste.
Seit Beginn des Jahres glauben immer mehr Marktbeobachter, daß mindestens eine Kurskorrektur an den Börsen fällig ist. Gerade in Deutschland beruht der Kursanstieg der letzten Monate fast nur auf der Hoffnung, daß die Industrie bald wieder Geld verdienen wird, weil sie jetzt, in der Krise, ihre internen Strukturen strafft und Personal abspeckt. Auch in den USA gelten etliche Aktien als überbewertet.
Außerdem sind die Finanzmärkte derzeit hochspekulativ. Immer mehr Großanleger, darunter auch Banken, handeln nicht mehr nur mit den Anteilsscheinen real existierender Firmen, sondern zocken an den Terminbörsen mit sogenannten Derivaten. Das sind Wertpapiere, die auf die Kursentwicklung von Aktien, Zinsen, Devisen oder Waren ausgestellt werden. Falls diese Wechsel auf Hoffnungen massenweise zu platzen würden, könnten sie die klassischen Aktienkurse mit nach unten reißen.
Verschärft würde der Crash zusätzlich durch die weltweite Vernetzung der Märkte: Kommt es erst einmal in New York, Tokio, London oder Frankfurt zu massiven Kursstürzen, würden die jeweils anderen Märkte mit nach unten gezogen – wie schon 1987.
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