: Geht in Sulzbach der Ofen aus?
Heute soll Entscheidung über Zukunft des Oberpfälzer Stahlwerks Maxhütte fallen / Schrottrecycling, Stillegung oder weiter ein langsamer Tod? ■ Von Bernd Siegler
Nürnberg (taz) – Das Ultimatum ist abgelaufen. Gerd Geismann, SPD-Bürgermeister der 20.000-Einwohner-Stadt Sulzbach-Rosenberg in der Oberpfalz, hat eine unruhige Nacht hinter sich. „Zermürbt von den letzten Jahren“, wie der 49jährige einräumt, hofft er nun auf eine positive Entscheidung über die Zukunft der Maxhütte, des mit Abstand größten Arbeitgebers in der Region. Die soll heute im bayerischen Wirtschaftsministerium nach monatelangen Verhandlungsrunden endlich fallen.
Einstmals arbeiteten 12.000 Stahlkocher in der vor knapp 140 Jahren gegründeten Maxhütte. Als die Maxhütte 1977 von Krupp an Klöckner verkauft wurde, begann der Abstieg. Im Pokern um EG- Stillegungsprämien und Stahlquoten stand das vergleichsweise kleine Stahlwerk immer auf der Verliererseite. Im Frühjahr 1987 schließlich stand die Maxhütte vor dem Bankrott, das Amtsgericht Amberg akzeptierte den Konkursantrag. Die Stahlschmiede hatte gerade noch 4.600 Beschäftigte und war mit über 600 Millionen Mark verschuldet. Der Betriebsrat sprach damals von „politisch gewollter Arbeitslosigkeit“: „Man läßt die Region ausbluten, um die Akzeptanz für die Wiederaufarbeitungsanlage (WAA) zu erhöhen“, warfen die Betriebsräte der bayerischen Staatsregierung vor. Die WAA wurde nicht zu Ende gebaut, 3,5 Milliarden in den Wackersdorfer Sand gesetzt. Doch für die Rettung der Maxhütte war es zu spät.
Auch bei der Gründung der Maxhütte-Auffanggesellschaft nach dem Konkurs blieb der Freistaat seiner Politik treu. Aus „ordnungspolitischen Gründen“ lehnte die Staatsregierung lange eine staatliche Beteiligung ab. Schließlich rang man sich zu einem 45prozentigen Anteil am Stammkapital durch, den Rest teilten sich die Stahlkonzerne Krupp, Klöckner, Mannesmann, Saarstahl und Lechstahl. Trotz gegenteiliger Gutachten wurde die Neue Maxhütte (NMH) mit nur mehr 1.800 Stahlwerkern konzipiert, die im Juli 1990 die Arbeit aufnahm. Bayerns damaliger Wirtschaftsminister August Lang sprach zwar von einem „Musterbeispiel für gelungene Strukturpolitik“, doch die Aufbruchstimmung in der Oberpfalz war schon nach zwei Jahren wieder gänzlich verflogen. Obwohl die NMH das Geschäftsjahr 1991 mit einem vergleichsweise niedrigen Verlust von 5,9 Millionen Mark abschloß, wollten die beteiligten Stahlkonzerne die Marktbereinigung vorantreiben. Die Maxhütte, die eine erfolgreiche Nischenpolitik mit Qualitätsstahlen betrieben hatte, galt als unliebsame Konkurrenz. Thyssen, Klöckner, Krupp und Saarstahl beabsichtigten, ihre Anteile abzustoßen. Auch Bayern plante im Zuge der Privatisierung seiner Firmenbeteiligungen den Verkauf der NMH-Anteile.
Das Geschäftsjahr 1992 schloß man mit einem Verlust von 26 Millionen Mark ab, weitere 200 Arbeitsplätze wurden gestrichen. Für Betriebsrat und IG Metall kein Wunder, wurden doch wesentliche Versprechen bei der Gründung der Neuen Maxhütte nicht eingelöst. Statt 150 Millionen Mark Stammkapital waren es nur 93 Millionen, statt 386.000 Jahrestonnen Stahl wurden nur 340.000 abgenommen – viel zuwenig, um schwarze Zahlen erwirtschaften zu können.
Im Juli 1992 favorisierten Betriebsrat und Gewerkschaft das Modell, das Stahlwerk mit einer Recyclinganlage für Automobilschrott zu kombinieren. Nach einem von Mercedes-Benz und Voest konzipierten Verfahren könnten ab 1995 mit einem Investitionsaufwand von 150 Millionen Mark jährlich 300.000 Altfahrzeuge umweltfreundlich und energiesparend zu hochwertigem Rohstahl verarbeitet werden. Mit den dadurch gesenkten Rohstoffkosten wäre die Maxhütte schnell aus den roten Zahlen heraus. Von einem „Ökostahlwerk 2000“ mit angeschlossenem Biomasse-Heizkraftwerk war bereits die Rede.
Der Nürnberger Röhrenhändler Manfred Kühnlein, über den Mannesmann-Anteil an der Maxhütte beteiligt, gründete die M.A.R.S. (Metallurgische Altauto-Recycling Sulzbach-Rosenberg GmbH), sammelte 50 Millionen Startkapital und stellte nur eine Bedingung: Für die zweijährige Genehmigungs- und Aufbauphase der Recycling-Anlage sollte die Staatsregierung eine Bestandsgarantie für die Maxhütte abgeben. Denn nur mit dem Stahlwerk in Kombination mache die Anlage Sinn.
Doch Bayern zögerte, man tendierte zwar zur Recycling-Lösung, wollte aber unter keinen Umständen eine solche Garantie abgeben. Der Staatsregierung saß nicht nur die Lobby der Betreiber von Autoschreddern im Nacken, sondern auch NMH-Anteilseigner Max Aicher. Der Lechstahl-Besitzer, der inzwischen seinen Anteil auf 44 Prozent erhöht hatte, favorisierte den Fortbestand der Maxhütte als Stahlwerk mit der herkömmlichen Hochofen-Technologie – allerdings mit einer Reduktion der Belegschaft um 300 Stahlwerker. Das Recycling-Konzept erhielt zwar Rückenwind aus dem Bonner Umweltministerium, doch die Verhandlungen kamen nicht voran. Schon im Juli letzten Jahres mahnte Ministerpräsident Stoiber bei seinem Besuch in Sulzbach- Rosenberg, es könne „nicht mehr lange so hingehen“.
Die entscheidende Wende kam erst mit den Plänen des amerikanischen Recycling-Marktführers Waste Management, sich an der M.A.R.S. federführend zu beteiligen. In langen Verhandlungsrunden konnte man sich aber über den Preis für das Roheisen, das nach der Schrotteinschmelzung durch die NMH übernommen werden sollte, ebensowenig einigen wie über eine Bestandsgarantie für die nächsten zwei Jahre. Waste ließ das vom Wirtschaftsministerium angesetzte Ultimatum Anfang März verstreichen.
Jetzt sollen die Würfel fallen, ob es in Zukunft ein Ökostahlwerk oder ein kleines herkömmliches Stahlwerk in Sulzbach-Rosenberg geben wird oder ob die NMH gar ganz dichtmachen muß. Dann würde nicht nur die Arbeitslosenquote in der ohnehin strukturschwachen Region von derzeit 13,6 auf 35 Prozent hochschnellen, auch die Stadt Sulzbach-Rosenberg stünde vor der Pleite.
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