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Short stories from AmericaDie Industrie bleibt im Saft

■ Amerika macht Zigarettenhändler zu Crackdealern, und das Leben blüht auf

Jetzt ist die Mafia richtig glücklich. Fröhlich wurden die Mafiosi auch schon, als der Anschlag auf das World Trade Center die allgemeine Aufmerksamkeit von ihnen auf die VAE ablenkte, was früher Vereinigte Arabische Emirate bedeutete, aber auf amerikanischen Straßen heute für Vereinigte Arabische Erpresser steht. Die Ablenkung verschaffte ihnen Ruhe bei den paar Geschäftchen, die ihnen die kolumbianischen Drogenkönige auf dem Schwarzmarkt übriggelassen haben. Also bekam die Mafia gute Laune.

Und auch letzte Woche war sie ganz zufrieden, als auf der Brooklyn-Brücke ein Auto mit chassidischen Teenagern zusammengeschossen wurde. Der Schütze erwies sich als Araber, und das bedeutete noch mehr Ablenkung und Ruhe. Aber nicht deshalb ist die Mafia heute so glücklich. Richtig glücklich ist sie, weil ihnen die Food and Drug Administration (FDA) Milliardengewinne in Aussicht stellt.

In einem Bericht an den Kongreß schrieb die FDA, die Zigarettenhersteller versetzten ihre Produkte mit Nikotin, um bei ihren Kunden Nikotinsucht zu erzeugen. „Wir sind zu der Überzeugung gekommen“, schrieb die FDA, „daß die Hersteller die Zigaretten gewöhnlich mit Nikotin versetzen, um damit eine bestimmte Menge Nikotin zu liefern.“ Ich zitiere wörtlich, denn dieser Gedanke ist sehr kühn. Wer hätte es für möglich gehalten, daß die Zigarettenhersteller den Nikotingehalt ihrer Produkte bewußt in Kauf nehmen? Dieser revolutionäre Gedanke hat in Washington ein politisches Erdbeben ausgelöst, da die FDA zu dem Schluß kam, Zigaretten sollten ebenso wie Heroin oder Crack als Suchtmittel eingestuft werden. Die Nation steht erschüttert; die New York Times brachte in ihrer Sonntagsausgabe nicht nur einen, sondern sogar zwei Kommentare zu den Nikotin- Enthüllungen, zusätzlich zu den normalen Berichten im Nachrichtenteil. (Zum Vergleich: Weder der Waffenstillstand in Bosnien noch das Massaker und die folgenden Unruhen in Hebron wurden ähnlich gewürdigt.) Man stelle sich vor: Zigaretten werden bald behandelt wie Kokain. Seit Coppola seine Filme drehte, hat es keine so guten Nachrichten mehr für die Mafia gegeben.

In den letzten Jahrzehnten war sie ja auch wirklich nicht mehr in allerbester Form. Vor dem unternehmerischen Elan der Drogenkönige aus dem Süden mußte sich die Mafia zunehmend auf ein paar Spielhallen und illegale Zementlieferungen zurückziehen. Aber Tabak ist ein einheimisches Produkt, genau das richtige Schwarzmarktprodukt für einheimische Verbrecher. In den zwanziger Jahren soll erst die Alkoholprohibition die Mafia zur Mafia gemacht haben. Das Tabakverbot wird ihr neues Leben einhauchen.

Dollars in den Taschen der Mafia ist nur ein Vorteil eines Zigarettenverbots. Das Geld fließt auch in die Taschen der Mafia- Anwälte und -Bankiers (all die Weiße-Kragen-Knaben weißer Hautfarbe, die seit 1989 zunehmend die Arbeitsämter verstopfen). Gute Tage winken auch dem Mafia-Personal – den Lastfahrern, Leibwächtern und Kongreßabgeordneten. Mir wird voller Freude klar, daß dem Senator meines Heimatstaates New York, Al D'Amato, hübsche Nebeneinkünfte ins Haus stehen, mit denen er seine Bauunternehmerkumpels bezahlen kann – mit der Wirtschaft unseres Staates geht es bald wieder bergauf. Und mit dem Tabakverbot könnte in illegalen Raucherkneipen sogar das Zigarettenmädchen wieder Einzug halten – und da das Fast- food-Gewerbe immer stärker automatisiert wird, kommen solche Arbeitsplätze keine Minute zu früh. Außerdem käme mit den Zigarettenmädchen auch das Pillendosen-Hütchen wieder in Mode, und das wären Arbeitsplätze im Putzmachergewerbe, aber den eigentlichen Boom erlebt der Waffenhandel.

Das Tabakverbot wird die Mafia wieder in Aufruhr bringen. Es herrscht kein großer Bedarf an Waffen, wenn sich das Risiko darauf beschränkt, auf Long Island eine Ladung Zement abzukippen. Aber wenn die Mafia wieder richtig aktiv wird, dann investiert sie auch wieder in MP-Magazine – wie in der guten alten Zeit. Waffen gehören zu den wenigen Produkten, die Amerika noch herstellen kann (neben Zigaretten), deshalb ist es besonders wichtig, daß die Industrie im Saft bleibt. Für die Wirtschaft ist das so wichtig, daß im letzten Oktober einige Waffenhändler, die ohnehin bereits sechzig Prozent des internationalen Waffenmarktes kontrollieren, den Kongreß zu einer Milliardenbürgschaft für Waffenverkäufe ins Ausland bewegen wollten. Der Senat spielte mit. Aber wenn man Waffen ins Ausland verkauft, riskiert man, was ich das Saddam-Syndrom nennen möchte: Zum Schluß rüstet man die eigenen Feinde auf. Viel schlauer ist es, die Waffen im Inland zu verkaufen. Und was wäre amerikanischer als die Mafia?

Wie das Zigarettenmädchen käme auch der Wirtschaftsaufschwung aufgrund des Waffenhandels im richtigen Augenblick. Zwischen 1961 und 1971 sank die Zahl der Menschen, die unter der Armutsgrenze leben, um ein Drittel, von 39,6 auf 25,6 Millionen. Ihre Zahl steht inzwischen wieder bei 36,9 Millionen, das sind 14,5 Prozent der Bevölkerung. Bei Kindern liegt die Armutsrate, die 1969 bei 14 Prozent lag, inzwischen bei 21,9 Prozent. Das Institut für Stadtuntersuchungen berichtet, daß 1990 zweimal soviel Menschen wie 1980 in Gebieten konzentrierter Armut lebten. Ein Erwachsener, der dreißig Stunden pro Woche zum doppelten Mindestlohn arbeitet, kann eine vierköpfige Familie nicht über der Armutsgrenze halten. Aber wenn erst die Zigaretten auf den Schwarzmarkt kommen, wird sich alles ändern.

So sieht dann also die amerikanische Zukunft aus: Statt selbstgepanschtem Gin kriegen wir Tabak aus dem Toaströster. Festgenommen wird man nicht mehr wegen „Jack Daniels“, sondern wegen „Virginia Slims“. Statt Mafiamorden kriegen wir mehr Mafiamorde. Und das Geld wird fließen, jedenfalls an bestimmte Orte. Das ist der beste Vorschlag zum Wirtschaftsaufschwung, seit im Februar die Einwanderungsbehörde verkündete, Asylsuchende müßten ab sofort eine Anmeldegebühr von 130 Dollar berappen. Diese Gebühr soll die Einwanderungsbehörde finanzieren und unrechtmäßige Antragsteller abschrecken. Wie ich schon immer sagte: Wer wirklich vor politischem Terror flieht, der wird sich ja wohl auch mitten in der Nacht 130 amerikanische Dollar beschaffen können. Marcia Pally

Aus dem Amerikanischen von Meinhard Büning

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