Schwere Unruhen in Hebron

■ Blutigste Auseinandersetzungen seit dem Massaker in der Moschee

Tel Aviv (taz) – Die Stadt Hebron erlebt in diesen Tagen die blutigsten Auseinandersetzungen seit dem Massaker in der Moschee am Abrahamsgrab vor knapp einem Monat. Gestern wurde die Stadt zum militärischen Sperrgebiet erklärt, obwohl die palästinensische Bevölkerung seit dem Massaker ohnehin unter Ausgangssperre steht. Während die israelischen Siedler in der Stadt kaum in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt wurden, hob das Militär die Sperre für die Palästinenser seit dem 26. Februar nur stundenweise zum Einkaufen auf. Gestern haben israelische Soldaten nach palästinensischen Angaben drei Palästinenser erschossen und mindestens sieben verletzt; am Vortag wurden zwei Palästinenserinnen und zwei israelische Soldaten getötet – über die Umstände war zunächst nichts Näheres bekannt.

Am gestrigen Nachmittag hatte die israelische Armee ein Haus neben einem Kinderkrankenhaus in Hebron mit Panzerfäusten angegriffen. Das Kinderkrankenhaus wurde gestürmt, von den Fenstern aus wurde das Nachbarhaus angegriffen; dann wurden Bulldozer eingesetzt, um das Haus ganz zu zerstören, in dem sich angeblich „palästinensische Terroristen“ verschanzt hatten.

Ob die Verhandlungen zur Wiederaufnahme der Autonomiegespräche zwischen Israel und der PLO unter diesen Umständen fortgesetzt werden können, ist fraglich. Allerdings ist die israelische Delegation gestern wie vorgesehen zu Gesprächen mit der PLO nach Kairo gereist.

Vor dem Untersuchungsausschuß, den das israelische Kabinett am 28. Februar einsetzte, um die Umstände und Hintergründe des Massakers in Hebron aufzuklären, sagten in den letzten beiden Tagen zum ersten Mal palästinensische Zeugen aus. Nach ihren eidesstattlichen Erklärungen kamen die Schüsse in der Moschee aus zwei oder drei Richtungen. Sie berichteten auch von zahlreichen früheren Übergriffen israelischer Siedler in Hebron.

Mit der gestrigen Aussage von Generalstabschef Ehud Barak war der „militärische“ Teil der Erkundigung so gut wie abgeschlossen. Trotzdem steht die Kommission unter Vorsitz des Präsidenten des obersten Gerichts, Meir Schamgar, noch immer vor einer Reihe ungelöster Fragen. Unter anderem blieb unklar, weshalb in den entscheidenden Morgenstunden des 25. Februar, in denen Baruch Goldstein aus Kiriat Arba das Feuer auf betende Moslems eröffnete, die meisten der diensthabenden israelischen Wachleute nicht auf ihren Posten waren.

Die Zeugenaussagen aus dem militärischen Bereich haben aber zusätzliche Fragen aufgeworfen. So wurde im Laufe der Befragung von Kommandanten aus dem Bereich Hebron bekannt, daß es seit letztem November Anweisungen von höchster Stelle gab, die den Militärs den Schußwaffengebrauch gegen Siedler untersagen, auch wenn diese auf Palästinenser schießen. Angesichts solcher Verordnungen, die von den befragten Soldaten und Offizieren unterschiedlich interpretiert wurden, wurde es denkbar, daß selbst dann nichts gegen den Attentäter unternommen worden wäre, wenn die israelischen Wachen auf ihren Plätzen gewesen wären.

Es wurde auch deutlich, daß es in der Armee an Disziplin fehlte, und daß zwischen den einzelnen Polizei-, Grenzschutz- und Militäreinheiten und auch innerhalb der Einheiten im Raum Hebron chaotische Zustände geherrscht haben müssen. Trotz vieler Zwischenfälle, bei denen bewaffnete jüdische Siedler palästinensische Besucher der Moschee angriffen oder schikanierten, und trotz einer Reihe von Warnungen vor geplanten Überfällen jüdischer Siedler auf Moslems in der Ibrahimi Moschee wurde bei den Sicherheitsorganen in Hebron allgemein vorausgesetzt, daß die potentiellen Übeltäter nur unter den Palästinensern zu suchen sind. Vorkehrungen für eventuelle Anschläge von israelischen Siedlern waren darum nicht getroffen worden. Amos Wollin