Von VW zu López-Mobil

Die weltweite Autokrise bescherte dem VW-Konzern 1993 einen Verlust von 1,94 Milliarden Mark / In Wolfsburg die wenigsten Verluste  ■ Aus Wolfsburg Erwin Single

Ferdinand Piäch, VW-Chef und Porsche-Enkel, liebt ein altes BRD-Motto: „Freie Fahrt für freie Bürger“. Deshalb drückt der gebürtige Wiener lieber aufs Gas als auf die Bremse – vor allem, wenn es um die Restrukturierung des angeschlagenen Volkswagen-Konzerns geht. Vor genau einem Jahr mußte der ruppige Sanierer für das erste Vierteljahr 1993 noch den höchsten Quartalsverlust in der Geschichte des Unternehmens verkünden. Gestern, bei der Präsentation der Jahresbilanz, sah das Zahlenwerk zwar etwas besser aus, aber der Kern der Strukturkrise ist noch lange nicht gelöst.

402.000 Fahrzeuge hat Europas größter Autobauer im letzten Jahr weniger verkauft – für Piäch kein zufriedenstellendes Ergebnis. Bei der Marke VW gingen die Auslieferungen um 10 Prozent, bei dem spanischen Autobauer Seat um 15,2 Prozent und bei der Nobel- Sparte Audi gar um ein Viertel zurück. Nur von den tschechischen Skodas ließen sich 9,8 Prozent mehr absetzen. Die schlechten Verkaufszahlen schlugen auch auf die Bilanz durch: Der Umsatz rutschte um 10,3 Prozent auf 76,6 Milliarden Mark ab. Und die hohen Verluste bei Seat (-1,838 Mrd. DM), Audi (-98 Mio. DM), Skoda (-246 Mio. DM) und im miserablen Nordamerika-Geschäft (-388 Mio. DM) bescherten dem Konzern 1,94 Milliarden Mark Verluste.

VW selbst ist der einzige Lichtblick im Konzern

Einziger Lichtblick: Bei der Muttergesellschaft VW konnte trotz eines Umsatzrückgangs um 19 Prozent das Bruttoergebnis um 12 Prozent verbessert werden – durch eine rigorose Senkung der Herstellungskosten. Schon in diesem Jahr werde es gelingen, da ist sich Piäch sicher, auch die anderen Konzernbereiche „auf den richtigen Kurs zurückzusteuern“.

Wie sich Deutschlands wohl unbeliebtester Manager und Hobby- Holzhacker das Crash-Programm für den maladen Autoriesen vorstellt, davon gab es im vergangenen Jahr bereits einen Vorgeschmack. Piächs Diagnose sprach Bände: „Eine Ente, zu fett geworden, um noch fliegen zu können.“

Der VW-Chef lag nicht ganz falsch. Allein bei Seat gingen 1993 fast zwei Milliarden Mark den Bach hinunter. Seat-Boß Juan Antonio Diaz Alvarez wurde gefeuert und hat dazu noch mit einer Anklage zu rechnen. Nun muß die Belegschaft büßen: Sie soll in Spanien von 23.000 auf 14.000 reduziert werden. Keinen Deut besser geht es dem Oberklassen-Sprößling Audi, den Piäch vom verstaubten Langweiler-Image zum ernsthaften Konkurrenten der etablierten Nobelschlittenhersteller BMW und Mercedes hochpäppelte. Audi verlor 1993 gar ein Viertel des Umsatzes und schloß mit roten Zahlen in Höhe von 89 Millionen Mark ab. Fast der komplette Audi-Vorstand wurde Anfang Februar kurzerhand in die Wüste geschickt.

Ach, was wäre, wenn Piäch nicht den für seine kaufmännischen Talente weltbekannten Ignacio López de Arriorta gefunden hätte. Noch ein paar Motorkutschen und damit Waldschädlinge und Städtezerstörer weniger? Wie die Zukunft jenseits des Blechhaufens aussieht, das ist dem PS-süchtigen Piäch und seinem Turbo-López keinen Gedanken wert.

Mit mehr Ellenbogen gegen die japanische Konkurrenz

Statt dessen will das ungleiche Duo die letzte „Schlacht“ gegen die Japaner gewinnen, und die Karten sind gar nicht so schlecht verteilt. Ehrenkäsig, ehrgeizig, mit harten Ellenbogenschonern ausstaffiert, gehen „die Blechtrommler“ (Manager Magazin) ans Werk.

Wie man den Karren wieder flott bekommt, exerzierte der Jesuit López bei der Marke VW vor. Endlich abspecken, endlich realisieren, was die Experten des Massachusets Institute of Technology (MIT) amerikanischen und europäischen Autobauern als Antwort auf die japanische Herausforderung empfahlen: „Mager-Management“. So hat López die Einkaufspreise reduziert, die Fertigung rationalisiert, das Personal angepaßt, die Sachgemeinkosten gedrückt, investitionsabhängige Kosten verringert, erlösverbessernde Maßnahmen eingeleitet. Dazu kommt die Zauberformel KVP 2 (Quadrat), kontinuierlicher Verbesserungsprozeß genannt und nichts anderes als die neueste Masche des alten betrieblichen Vorschlagswesens, bei der sich die Mitarbeiter gegenseitig mit Vorschlägen überbieten, wie ihre Arbeitsplätze am besten wegrationalisiert werden könnten. Keine Frage, für die Wolfsburger ist López sein Geld wert. 30 Millionen, so wird spekuliert, soll er für seinen Fünfjahresvertrag bekommen haben, aber auf der Gehaltsliste, so Piäch über seinen Spießgesellen, sei López keine Ausgabe, sondern eine Investition.

Die Bilanz des ersten López- Jahres: Produktivität deutlich erhöht, mehrere Milliarden Kosten eingespart, mit dem weltweit beachteten Arbeitszeitmodell der Viertagewoche einen personellen Kahlschlag vorerst verhindert und dazu noch 1,6 Milliarden Mark an Personalkosten gespart. Die Mission von „Super-López“ scheint bereits erfüllt, die Aktionäre dürfen sich freuen: Der Kurs der VW- Stammaktie verbesserte sich binnen Jahresfrist von rund 240 auf 495 Mark.