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Wenn Unternehmer nach Süden blicken

„Doppelstrategie“ der Regierung zur Verringerung des Bevölkerungswachstums in der Dritten Welt / Hilfsorganisationen wollen sich vor der Kairo-Konferenz nicht in „Nationale Kommission“ einbinden lassen  ■ Von Christian Rath

Delegationen aus rund 160 Staaten der Erde treffen sich ab Ostern für drei Wochen im New Yorker UN-Hauptquartier. Dort wollen sie die dritte Weltbevölkerungskonferenz vorbereiten, die im September in Kairo stattfinden wird. Auf der deutschen Delegation lastet dabei besondere Verantwortung, da die Bundesrepublik im zweiten Halbjahr 1994 den Vorsitz der Europäischen Union übernimmt und daher deren Position in Kairo repräsentieren wird.

Die Bundesregierung will sich in New York bei der Vorbereitung des Kairo-Abschlußdokuments dafür einsetzen, daß bevölkerungspolitische Ziele nicht isoliert betrachtet werden. Vielmehr sollen sie „Bestandteil sektorübergreifender, integrierter Entwicklungsstrategien“ sein.

Mit Maßnahmen wie Armutsbekämpfung, Gesundheitsversorgung, Elementarbildung und einer Stärkung der „Autonomie von Frauen“ sollen die Lebensbedingungen in den Ländern des Südens verbessert werden, um so zu erreichen, daß die Menschen langfristig Familien mit weniger Kindern anstreben.

Der zweite Schwerpunkt der deutschen „Doppelstrategie“ sieht einen verbesserten Zugang zu Familienplanungsdiensten vor, die in möglichst flächendeckende Gesundheitsdienste integriert sein sollen.

Diese Zielbestimmung der bundesdeutschen Entwicklungszusammenarbeit findet sich im „Nationalen Bericht“ der Bundesregierung für die Kairoer Konferenz. Dieser Bericht nimmt außerdem auch zur bundesdeutschen Bevölkerungsentwicklung Stellung. „Deutschland ist kein Einwanderungsland“, sollte nach dem Willen der Regierung eine zentrale Aussage in der deutschen Position darstellen. Die in der „Nationalen Kommission“ zur Vorbereitung der Bevölkerungskonferenz vertretenen Nichtregierungsorganisationen (NGO) protestierten jedoch heftig und nicht ganz erfolglos. Der Satz wurde entfernt, allerdings ohne die gegenteilige Aussage einzufügen.

Wie vor dem UN-Umweltgipfel 1992 in Rio de Janeiro versuchte die Bundesregierung auch im Hinblick auf die Kairoer Konferenz, gesellschaftlichen Konsens durch eine breite Beteiligung von Nichtregierungsorganisationen zu erzeugen. Die Bereitschaft, sich auf diese Demokratisierung der bundesdeutschen Außenpolitik einzulassen, ist allerdings gesunken. Der um Mitarbeit in der „Nationalen Kommission“ angefragte Verein „Eine Welt für alle“, in dem die wichtigsten etablierten Hilfsorganisationen von der Welthungerhilfe bis Misereor zusammengeschlossen sind, winkte dankend ab. „Wir betreiben mit den beschränkten Kräften lieber offensive Öffentlichkeitsarbeit als zeitaufwendige Gremienpolitik“, erklärt der Vorsitzende Ulrich Schmid.

Weniger zurückhaltend war dagegen die erst 1992 von zwei mittelständischen Unternehmern gegründete „Deutsche Stiftung Weltbevölkerung“. Sie bezeichnet sich als „die in Deutschland wohl einzige Institution, die sich speziell um das Weltbevölkerungswachstum kümmert“. Die illustre Besetzung von Vorstand und Kuratorium (mit dabei zum Beispiel Ernst Ulrich von Weizsäcker) sorgte schnell für eine hohe Akzeptanz in Bonner Regierungskreisen.

Auch die Stiftung betreibt eine rege Öffentlichkeitsarbeit und beruft sich dabei gerne auf ihren Sitz in der „Nationalen Kommission“. In den Zielen unterscheiden sich die neue Stiftung und der Verein „Eine Welt für alle“ jedoch sehr deutlich. Die Hilfsorganisationen warnen vor allem davor, das Bevölkerungswachstum im Süden für die ökologischen Probleme der Welt verantwortlich zu machen. „Hauptproblem ist vielmehr die erdvernichtende Lebensweise der Menschen im Norden“, heißt es in einem Thesenpapier. Die Stiftung Weltbevölkerung wirft „Eine Welt für alle“ deshalb vor, den Süden zu sehr aus der Verantwortung zu entlassen. Auch werde die emanzipative und gesundheitsfördernde Wirkung von Familienplanung für die Menschen der Dritten Welt unterschätzt. Stiftungsgeschäftsführer Hans Fleisch will dagegen vor allem den „ungedeckten Bedarf“ an Familienplanungsdiensten in der Dritten Welt bedient sehen.

Mit dabei in der Nationalen Kommission sind neben der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen und einigen Wissenschaftlern noch die beiden großen Kirchen. Die katholische deutsche Bischofskonferenz zog sich mit ihrer diesbezüglichen Arbeit jüngst sogar den Unwillen des Vatikans zu, weil sie moderne Methoden der Familienplanung ausdrücklich guthieß. Diese seien „immer besser als Abtreibung“.

Dagegen fehlt in der Kommission natürlich die eher linke Dritte- Welt-Solidarität. Soweit die Gruppen staatliche Bevölkerungspolitik nicht grundsätzlich ablehnen (wie etwa die Berliner „Frauen gegen Bevölkerungspolitik“ oder das Essener „Gen-Archiv“), sind ihre Forderungen nach selbstbestimmten Formen der Geburtenkontrolle (zumindest in den offiziellen Papieren) erfüllt.

Repressive Methoden sind heute „out“ – nicht nur aus ethischen Gründen, sondern auch mangels Effektivität, da derartige Maßnahmen naturgemäß Mißtrauen und Widerstand hervorrufen. Anlaß zur Kritik wird aber nach wie vor gesehen. So ist etwa die Sterilisation von Frauen mit einem Anteil von 40 Prozent in der Dritten Welt immer noch die häufigste Form der Geburtenkontrolle. Und die Verwendung temporärer Verhütungsmittel ist angesichts der häufig kaum vorhandenen medizinischen Betreuung oder wegen schlechter Wasserversorgung auch keine problemlose Alternative.

Ein Entwurf für die Abschlußerklärung von Kairo liegt bereits vor. Inhaltlich unterscheidet er sich nicht sehr stark von der deutschen Verhandlungslinie. Auch in Ägypten soll im September eine „integrierte Strategie“ beschlossen werden. Konflikte zwischen Nord und Süd wie noch bei der ersten Weltbevölkerungskonferenz in Bukarest 1974 sind in Kairo deshalb kaum zu erwarten. Selbst die meisten Länder des Südens unterstützen heute den Gedanken der Familienplanung.

Charlotte Höhn, Leiterin des Wiesbadener Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung, glaubt, daß bis Kairo nur zwei Fragen offenbleiben werden: „Wie viele Zuwanderer sind die Industrieländer zu welchen Konditionen aufzunehmen bereit, und wieviel Geld werden sie in bevölkerungspolitische Aktivitäten für die Dritte Welt investieren?“

Nafis Sadik, die Präsidentin des UN-Bevölkerungsfonds, fordert, daß künftig vier Prozent der staatlichen Entwicklungshilfe für Bevölkerungsprojekte ausgegeben werden sollen. Global sind es bisher nur 1,4 Prozent. Schätzungen zufolge liegt der Anteil in der Bundesrepublik derzeit zwischen zwei und drei Prozent, wobei die Gelder in den letzten drei Jahren mehr als verdoppelt wurden. Ziel des Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen ist eine langfristige Stabilisierung der pro Jahr um rund hundert Millionen Menschen wachsenden Weltbevölkerung von derzeit 5,5 Milliarden.

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