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Im Schatten der Superdomes

Olympia: Was bleibt? (zweiter Teil) / Statt funktionierender Sportstätten haben das Poststadion im Bezirk Tiergarten und das Friesenstadion in Friedrichshain nur Ruinenromantik zu bieten  ■ Von Rolf Lautenschläger

Ruinen als Stadtsymbole gehören in Berlin zur touristischen und identitätsstiftenden Ausrüstung. Der Anhalter Bahnhof oder die Gedächtniskirche zeugen von der Lust an der urbanen Nekropsie. Ausgebrannt und der Sehnsucht übereignet, stehen die Steinreste für die Auflösung einer scheinbar wertlosen Dingwelt. Sie mahnen an die Vergänglichkeit wie das „Wort zum Sonntag“ im Unterhaltungsprogramm der Hauptstadt Berlin.

Daß die Ruinenromantik auch auf den innerstädtischen Sportstätten blüht, ist angesichts der beschworenen repräsentativen und sozial integrativen Rolle, die dem Sport in Berlin zugesprochen wird, ein Skandal. Nicht nur „bespielbare“ Hallen und Arenen, wie die Deutschlandhalle, das Jahn-Stadion, die Alte Försterei oder das Olympiastadion, assoziieren die Vergänglichkeit der Bausubstanz. Gigantische Sportruinen harren der notwendigen Modernisierung, die seit Jahren mit dem immer gleichen Argument fehlenden Geldes, dem Gerede der Prioritätensetzung und dem Zwang zur Modernität, jenem Paradox der Wegwerf- und Verfallsmedaille, verzögert wird.

Der olympische Bewerbungsfanatismus sowie der erhoffte Ereignischarakter der Spiele fegte Sportstätten bedenkenlos hinweg oder hat sie im Stadtgrundriß als blinde Flecken belassen. In gewisser Weise wurde dadurch das Verfallssaldo gesteigert. Die frühen Aussagen von Stadtentwicklungssenator Volker Hassemer und Bausenator Wolfgang Nagel, dem Weiterbau auf den Stadtflächen und der Sanierung eine Chance zu geben, sind längst vom Donner der Abrißbirnen übertönt und vom baulichen und politischen Kahlschlag revidiert worden. Eine riesige Brache hat etwa die Abräumung des Stadions der Weltjugend in die Stadtlandschaft von Mitte gerissen, ebenso aufgeschürft sieht es am Standort der einstigen Werner-Seelenbinder-Halle in Prenzlauer Berg aus. Statt einer Sanierung der Altbauten oder der Entwicklung von gleichwertigen Alternativen für die ruinösen Arenen stürzte sich der Senat lieber in megalomane Neuplanungen.

Das Moabiter Poststadion und das Schwimmstadion „Karl-Friedrich-Friesen“ in Friedrichshain können als die wohl augenfälligsten Zeugen einer Verwahrlosung bei gleichzeitigem Größenwahn gelten. Zogen beide Standorte schon im Rahmen der Olympiaüberlegungen gegenüber Neubauvorhaben den kürzeren, so sollen sie nun zugunsten der olympischen Erblasten und dem Haushaltsloch geopfert oder ganz der Ruinenseligkeit übereignet werden. Planerische und sportpolitische Konzeptionslosigkeit wird so mit dem Kassenfallbeil exekutiert.

Es ist trostlos, daß ausgerechnet Sportsenator Jürgen Klemann und der Präsident des Landessportbundes, Manfred von Richthofen, forderten, die Sanierung des Poststadions zu verschieben. Dabei liegen doch die Pläne für den 87 Millionen Mark teuren Ausbau des in den zwanziger Jahren errichteten Stadions im Hochbauamt Tiergarten fertig auf dem Tisch. Dort, wo heute alles bröckelt, Unkraut wächst, Kaninchen hoppeln, ganze Blöcke gesperrt sind und die Scheinwerfer abgetragen wurden, könnte ab 1994 die phasenweise Modernisierung für sieben Sportplätze, eine Hauptarena für Fußballer und Leichtathleten mit Tribünen für fünfzehntausend Zuschauer, neue Umkleidekabinen und ein Casino entstehen.

Die Sportanlagen des Poststadions entlang der Lehrter Straße entwuchsen quasi dem Exerzierplatz Moabit, den Peter Joseph Lenné zwischen 1846 und 1848 angelegt hatte. Auf der Planungsgrundlage des Berliner Sportplatzarchitekten Georg Demmler entwarfen die Regierungsbaumeister Daniel/ Kleefeld zwischen 1926 und 1929 für den Postsportverein der Reichsverwaltung diese umfangreiche Anlage, die in der Berliner Sportgeschichte eine wesentliche bau- und sozialgeschichtliche Rolle spielte. Zu den Anlagen zählten das Stadion, ein Hallenbad mit Ruderanlage, eine Turnhalle, ein Sommerbad, Tennis- und Fußballplätze sowie der Haupteingang mit Kassenhäuschen.

Erhalten geblieben sind das Gebäude des einstigen Hallenbades, der ovale Kampfplatz mit expressiver Zuschauertribüne und der Haupteingang. Die Tribünendachkonstruktion steht in ihrer filigranen Ästhetik in der Nachfolge von August Endells bekanntem Tribünengebäude Mariendorf. Hallenbad, Stadion und Kassenanlage wurden 1990 unter Denkmalschutz gestellt, stellen sie doch ein bauliches Zeugnis für die in der Weimarer Republik betriebene moderne Berliner Sport- und Gesundheitspolitik und des Breitensports dar.

Die Chronik der versuchten Rekonstruktion des Poststadions liest sich wie ein fortgeschriebenes Zeugnis der Handlungsunfähigkeit von Bezirk und Senat. Wohl kaum ist in Berlin die Modernisierung einer Arena so oft geplant, Ideen und Arbeit von Architekten verschenkt worden wie bei dem sportlichen Zankapfel Poststadion. Seit fast fünfundzwanzig Jahren ist die Sanierung des nach dem Krieg teilzerstörten Areals Gegenstand der öffentlichen Diskussion. Kostete ein Umbau 1970 noch rund zwei Millionen Mark, so kletterte die Renovierung des zweitgrößten Berliner Stadions 1973 bereits auf fast zehn Millionen Mark.

Statt einer fälligen Modernisierung demontierte man die Flutlichtanlage und steckte das Geld in den Ausbau des Mommsenstadions. 50.000 Zuschauer wie beim 2:0 von Tasmania gegen die Zehlendorfer Borussia oder das legendäre 3:0, ebenfalls von Tasmania gegen Bayern München im Jahre 1965, sah das Poststadion ab den siebziger Jahren nicht mehr. Der Bundesligist Hertha BSC kickte im Olympiastadion, und selbst den Aufsteiger Tennis Borussia zog es in die 36er Großarena. Das Poststadion blieb das häßliche Entlein. Pläne zum Umbau 1978 scheiterten ebenso wie die Überlegungen, das Oval in ein reines Zweitligastadion umzubauen. Auch 1981 blieb es bei dem Versprechen des Senats, die Anlage für sechzehn Millionen zu renovieren. Die Stadionkapazität mußte damals auf achttausend Plätze reduziert werden, bemängelte doch die Baupolizei die Sicherheit auf den Rängen. Noch 1986, der Berliner Fußball war längst auf dem totalen Niedergang, träumte der Senat noch von einer „Superarena“ für 22.000 Besucher unter einem Schiebedach für fünfzig Millionen Mark. Und 1988 schließlich, Hertha BSC kickte erfolglos vor 1.500 Fans im Olympiastadion, plante man erneut für eine reine Fußballarena, die 120 Millionen Mark kosten sollte.

In den jetzt bedrohten Planungen spekuliert man nicht mehr mit utopischen Leistungen des Spitzensports und Fanmassen. Der Entwurf öffnet sich vielmehr dem Breitensport, dringend benötigten Plätzen für Vereine und Schulen. Es geht um die Rückeroberung eines kommunalen Zentrums, der sozialen Kommunikation und den Städtebau des Bezirks: der Wahlverwandtschaft zwischen Sportplatz und Quartier. „Das Stadion ist für den Sport im Bezirk unverzichtbar. Es besitzt eine zentrale Lage, die den Sport im Bezirk quasi immer anzog. Diese Traditionen gilt es zu erhalten und zu erneuern. Man kann es nicht erneut zugunsten von Prestigeobjekten runterfallen lassen“, beschwört Baustadtrat Horst Porath.

Die einstige Kaderschmiede des frühen DDR-Schwimmsports, das Friesenstadion, verblaßt dagegen schon jetzt im Stadtgrundriß zu einem entseelten Rechteck am Friedrichshain. Wer sich heute in die Anlage verirrt, findet sich wieder in einer trocken-blauen Ruinenwelt voll rostiger Stangen, eingestürzter Tribünengänge, gesperrter Emporen, abgeplatzter Kacheln und rissiger Becken. Im Stil des Traditionalismus der deutschen Architektur errichtet, wurde die symmetrische Anlage in freiwilligen Aufbauschichten in nur 156 Tagen aus dem Boden gestampft. Die Sportstätte mit ihren zentralen Achsen, rustikalen Natursteinverkleidungen und gleichförmig ausgerichteten Tribünen faßte ein Fünfzig-Meter- Sportbecken, ein Sprungbecken und ein Flachbecken. Die Ränge waren für achttausend Zuschauer ausgelegt.

In den Jahren nach den Weltjugendfestspielen 1951 in Ostberlin diente das Schwimmstadion zunächst als Freibad und Ort für die Wasserspringer, die Wasserballer und Schwimmwettkämpfer. Mit der Entwicklung des Leistungssports wandelte sich der Freizeitkomplex zur reinen Trainingsstätte. Um auch im Winter trainieren zu können, wurde der als Sommerbau konzipierte Komplex mit einer transportablen Dachhaut versehen, die, mangels einer Lüftungsanlage, das Bad in eine tropische Blase verwandelte.

Die in die Halle gepustete warme und chlorhaltige Luft verursachte Schäden an den Tribünen und dem Dach. In den siebziger Jahren bröselte der Putz, in den achtziger Jahren purzelten erste Kalksteine von der Arena. 1987 sperrte die Bauaufsicht weite Tribünenbereiche. Netze wurden aufgespannt, um die herabfallenden Platten abzufangen, Decken wurden gestützt. Die Bänke um das Becken faulten.

1990 errechnete die Ostberliner Baudirektion einen Sanierungsbedarf von 35 Millionen Mark. Bis Ende 1990 trainierten die Turmspringer in einer sogenannten Trockenspringanlage, bis dato nutzen Gewichtheber die Räume unter den Tribünen. Überlegungen, das Friesenstadion als Olympiastandort zu nutzen, wurden 1990/91 verworfen. Die Chance, die Anlage für rund 35 Millionen Mark zu rekonstruieren, wurde von einem Gutachten abgeschmettert, die Möglichkeit der späteren bezirklichen Nutzung damit den hochglänzenden Olympiaträumen geopfert.

In der Nachbarschaft der geplanten neuen Schwimmhalle gibt es für das Friesenstadion keine Zukunft, zumal sich der Bezirk und der Senat bei der Nutzung und Finanzierung uneins sind: also ohne Konzept dastehen. Weder als kleines bezirkliches Freibad (wie es sich die Bezirksbaustadträtin Albinus wünscht) noch als privat geführtes Freiluft-Planschbecken des SEZ (so Sportstaatssekretär Günter Bock) ist sein Standort garantiert. Der Bau und die Sanierung von Sportstätten werden in Berlin immer mehr unter der Perspektive vom Spitzensport als Großereignis definiert. Große Sportprojekte, von den Medien inszeniert, treten mit einer autoritären Geste auf den Stadtplan. Mit ihnen wird Stadtumbau, Innovation, Stadtentwicklung versprochen in einer Kompression von Zeit und Raum und mit einer Repression von alltäglichen Bedürfnissen.

So träumt der Senat lieber von sportiven Superdomes für 15.000 Zuschauer, damit das Davis-Cup- Finale noch vor dem altersbedingten Rücktritt Bobo Beckers einmal in Berlin stattfinden kann. Im Schatten der glitzernden Sporthallen und Velodromes verfallen dafür die für den bezirklichen Breitensport und die im Stadtraum verankerten Anlagen dann um so lautloser. Und dort hört man dann höchstens das Gras wachsen.

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