piwik no script img

Mit dem ganz großen Bruder in die Zukunft

■ Moldova tritt der GUS bei, um die Wirtschaftskrise in den Griff zu bekommen

Budapest (taz) – Der Beitritt Moldovas in die GUS soll der kleinen Ex-Sowjetrepublik aus der Wirtschaftskrise helfen. Das zumindestens versprach vor genau einer Woche der alte und neue Ministerpräsident Andrei Sangheli den knapp viereinhalb Millionen moldovanischen Staatsbürgern. Einen Tag später segnete das Ende Februar neu gewählte Parlament in der Hauptstadt Chiśinau den GUS-Beitritt ab und beendete damit einen zweijährigen Streit.

Sangheli, der die Hinwendung nach Moskau anpries, rechnete bei der Gelegenheit gleich auch mit dem „Bruderland“ Rumänien im Südwesten ab. Moldova, mehrheitlich von ethnischen Rumänen bewohnt, habe, so der Premier, in den zweieinhalb Jahren seiner Unabhängigkeit nicht einmal einen Bleistift umsonst bekommen; Rumänien sei kein korrekter Wirtschaftspartner, vom politischen ganz zu schweigen.

Sanghelis Bemerkungen spiegeln die Hoffnungen und Enttäuschungen wider, die Moldova seit 1989 erlebte. Die Emanzipation von der Sowjetunion ging einher mit der schrittweisen Spaltung des Landes und der Ausrufung der von niemandem anerkannten „Transnistrien-Republik“ im Osten des Landes, wo orthodoxe Kommunisten und russische Militärs das Sagen haben. Dort befinden sich auch knapp die Hälfte aller moldovanischen Industrieanlagen, von denen der Westteil des Landes seit langem abgeschnitten ist.

Doch nicht nur der zeitweilige Bürgerkrieg und die Spaltung haben die Wirtschaft des Landes ruiniert. Rußland setzte seine Politik auch mit der Rationierung der Energielieferungen durch, von denen Moldova abhängig ist. Erst Anfang Februar, kurz vor den Wahlen drohte das russische Staatsunternehmen Gasprom mit einem Lieferstopp für Erdgas.

Rumänien hat seinerseits viel geredet und wenig getan. Von den Infrastrukturprojekten, 100 Joint- ventures und dem Energieverbundnetz, einst groß angekündigt, ist wenig umgesetzt worden. Zu sehr kämpft Rumänien mit eigenen Schwierigkeiten. Sogar die Lieferung der von Moldova im August letzten Jahres dringendst angeforderten Rohstoffe und Energieträger scheiterte weitgehend an Transportproblemen.

Nach offiziellen Angaben sank das Bruttoinlandsprodukt 1993 in Moldova um 30 Prozent. Laut dem IWF hat Moldova unter allen Ex- Sowjetrepubliken einen der größten Handelsbilanzschocks erlitten: Die Einahmen aus Agrarexporte hätten sich vervielfacht, die Ausgaben für Energieimporte seien jedoch mehrere hundert Mal höher. Mit der Einführung einer eigenen Währung (Moldovanischer Leu) im vergangenen Herbst ist das Land zwar unabhängig von der russischen Zentralbank geworden. Doch infolge ungedeckter Geldemissionen für bankrotte Industriebetriebe und Agrarkooperativen liegt die Inflation derzeit bei 30 Prozent im Monat.

Die neue Regierung scheint wenig willens, Reformen in Gang zu setzen. Zwar rechnet Premier Sangheli in diesem Jahr mit einer ökonomischen Stabilisierung, doch die Periode des Romantismus und der naiven Hoffnung auf die Marktwirtschaft sei vorbei, wie er in einer Rede vor den Abgeordneten sagte. Widersprüchlich sind auch die „strategischen Ziele“ der neuen Exekutive: Entwicklung der Mechanismen des freien Marktes und ein Privatisierungsprogramm stehen neben der Beibehaltung staatlicher Präsenz im Agrarsektor und der vorrangigen Rolle des Staates bei den Reformen.

Zumindest könnte der GUS- Beitritt Moldovas und die damit verbundene Orientierung des Landes an Rußland eine positive Auswirkung auf die Lösung des Transnistrien-Konfliktes haben. Am vergangenen Sonnabend soll ein geheimes Treffen zwischen dem moldovanischen Staatspräsidenten Mircea Snegur und dem selbsternannten Präsidenten Transnistriens, Igor Smirnov, stattgefunden haben, berichtet die russische Nachrichtenagentur ITAR-TASS. Dabei sei über die Wiederaufnahme der ökonomischen Beziehungen diskutiert worden. Das Treffen sei konstruktiv verlaufen. Keno Verseck

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen