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Kohl richtet fromme Wünsche an die Serben

■ Reaktionen auf die Eroberung von Goražde durch die Serben: Stillhalten oder Gegenangriff? / USA und Rußland haben Kosten-Nutzen-Analyse bereits angestellt

Berlin (taz) – Goražde konnte gestern dem Druck der serbisch- bosnischen Armee nicht länger widerstehen. Die Serben sind in die Innenstadt einmarschiert und kontrollieren das Stadtgebiet. Trotz dieser dramatischen Situation verlegte sich Bundeskanzler Helmut Kohl auf lauwarme Appelle an die Aggressoren. Er forderte von der serbischen Führung, „ein Zeichen ihrer Friedensbereitschaft“ zu setzen. Der zuvor zugesagte Waffenstillstand müsse „bedingungslos“ respektiert werden. Die Russen mögen ihren „beträchtlichen Einfluß“ auf die Serben nutzen und auf ein Ende der Kämpfe drängen, wünschte sich der Kanzler.

Die UNO stoppte den Vormarsch der Serben nicht, obgleich sie Goražde zur Schutzzone erklärt hatte. Haben die Vereinten Nationen also versagt? Keinen Zweifel hegt daran Stefan Schwarz, CDU. Er sagte gestern: „Ich wünsche mir, daß die deutsche Politik aufhört, sich zu verstecken, und den 60.000 Menschen hilft.“ Schwarz forderte neue Luftangriffe der Nato. Solch eine militärische Reaktion hält Peter Schlotter, Projektleiter bei der hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung, für höchst problematisch. „Ich vermute“, sagte er, „daß ein Beschuß durch die Nato bei den gegenwärtigen Verhältnissen ihren militärischen Zweck nicht erreicht.“ Beim Versuch, Goražde freizukämpfen, würde vor allem die Zivilbevölkerung beschossen. Statt dessen fordert Schlotter, in den anderen Schutzzonen verteidigungsbereite Blauhelme zu stationieren.

„Die UNO hat sich auf schlimmste Art und Weise in Bosnien selbst entwertet“, befindet Vera Wollenberger, Bundestagsabgeordnete der Bündnisgrünen. „Sie hat in ihren Schutzzonen Menschen schutzlos gelassen.“ Nun müsse die UNO explizit erklären, daß sie die übrigen Schutzzonen auch militärisch verteidigen wolle. „Wenn sie nicht wie die kurdischen Gebiete im Irak gesichert werden, bin ich dafür, das Waffenembargo aufzuheben, um so den Menschen das Recht auf Selbstverteidigung zu sichern.“

Ein militärisches Eingreifen, gleich welcher Art, hält die stellvertretende Vorsitzende der PDS, Sylvia-Yvonne Kaufmann, für ausgeschlossen. Die kriegführenden Parteien müßten den Konflikt selbst austragen. „Eine Entscheidung kann nicht von außen getroffen werden.“

Was könnten militärische Aktionen bewirken? Hans-Georg Ehrhart, Referent für sicherheitspolitische Fragen beim Hamburger Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik: „In Moskau und Washington ist längst die Kosten-Nutzen-Analyse angestellt worden.“ Für beide Seiten falle sie ungünstig aus. Weder die Russen noch die US-Amerikaner hätten ein ernsthaftes Interesse an einer militärischen Lösung. roga

Siehe auch Seiten 8 und 10

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