: Ein Daten-GAU im Thüringer Computer
■ Chaos im Finanzministerium
Im Thüringer Finanzministerium von Minister Klaus Zeh (CDU) regiert das Chaos. Jahrelang wurden an landeseigene Krankenhäuser, Altenheime, Museen und Bäder falsche Gehälter bezahlt. Durch Doppelüberweisungen und Falschüberweisungen flossen mehr als 600 Millionen Mark zuviel an verschiedene Landeseinrichtungen.
Der Grund für das Finanzchaos ist die Umstellung der Gehälterabrechnung vom DDR-Buchungssystem „Eser“ auf das rheinland- pfälzische System „Loga“ im Oktober 1991. Dabei rutschten rund 2.500 Gehaltsempfänger doppelt in das Datenverarbeitungssystem. Zudem wurden die Daten nicht gesichert, Datensätze widerrechtlich gelöscht, Zugangssicherungen fehlten. Am Ende wußte niemand mehr, wer wann wieviel Geld empfangen hatte.
Bei Stichproben hatte der Landesrechnungshof die ersten Unregelmäßigkeiten entdeckt. Die Wochenpost veröffentlicht in ihrer heutigen Ausgabe Details aus internen Berichten des Rechnungshofs. Sie sprach mit Informanten im Sozial- und Finanzministerium. Dabei wird das ganze Ausmaß des finanziellen Kuddelmuddels sichtbar. Dem Land sind erhebliche Schäden entstanden. Allein die Zinsverluste werden auf mindestens 20 Millionen Mark geschätzt, die Gesamtschadenssumme könnte leicht auf mehr als 100 Millionen Mark klettern. Die internen Dokumente belegen auch, daß die Haushaltsabrechnungen 1991, 1992 und womöglich auch 1993 Makulatur sind.
Beinahe kurios muten die Reparatur- und Vertuschungsversuche der Landesregierung an. Sie versuchte nicht nur, den Landesrechnungshof zu disziplinieren und in die Kontrollbehörde hineinzuregieren. Sie flüchtete auch in abenteuerliche Manöver. Unter anderem wurden an diverse Landeseinrichtungen Vorschüsse bezahlt, damit diese ihre zuviel erhaltenen Gelder zurückzahlen konnten.
Auch vor der Gründung einer Scheinfirma schreckte die Zentrale Gehaltsstelle nicht zurück, um „dunkle Finanz-Transaktionen zu kaschieren“. Das Zentrale Jenaer Mikrobiologische Institut wurde als reine Luftnummer in die Abrechnung aufgenommen, um frei vagabundierenden Gehaltssummen einen Empfänger zuzuordnen. Ein einmaliger Vorgang in der deutschen Finanzbürokratie.
Auf dem Höhepunkt des Daten- und Finanzchaos schrieb die Zentrale Gehaltsstelle von Finanzminister Zeh einen dubiosen Rundbrief an alle Landeseinrichtungen. Die Gehaltsempfänger wurden in diesem Dokument der Hilflosigkeit aufgefordert, sich zu erklären, ob sie überhaupt gehaltsberechtigt sind. Wer sich selbst als gehaltsberechtigt deklarierte, kam automatisch in den Genuß des warmen Geldregens. Selbstbedienung nach Thüringer Art.
Die Erfurter Landesregierung mit Ministerpräsident Bernhard Vogel und Finanzminister Zeh will von alldem nichts gewußt haben. Außerdem, beteuert sie, sei dem Land kein Schaden entstanden, da die Fehlbeträge zurückgefordert wurden. Doch die internen Dokumente belegen eine andere Lesart. Interne Briefe zwischen Sozial- und Finanzministerium aus dem Jahr 1992 beweisen die frühzeitige Kenntnis. Manfred Kriener
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