Jungs die Gewalt austreiben?

■ Große Resonanz auf der Fachtagung „Hat Gewalt ein Geschlecht?“

„Was ist die Steigerung von Frauenpower?“ Diese Frage kursiert an Bremens Schulen. Die Antwort zum vermeintlichen Witz: „Rinderwahnsinn“. Gestern allerdings kam dieser „Witz“ nicht aus Kindermund. Die Pädagogin Hilke Emig erzählte ihn – nicht zur Belustigung, sondern um zu veranschaulichen, wie selbstbewußte Mädchen im Schulalltag verhöhnt werden. Für die Pädagogin gehört das zum Alltag; sie arbeitet ganztags für die 10köpfige Arbeitsgruppe Koedukation. Das Geschlechterverhältnis in der Schule ist ihr Thema, dafür wurde sie von der Bildungsbehörde extra freigestellt. „Einmalig in Deutschland“ sei das. Und dringend nötig, wenn sich wirklich etwas ändern soll. Dabei müsse sich vieles verbessern, denn in der Schule nehme Gewalt zu. Da hauen vor allem die Jungen drauf, nehmen den Mädchen den Raum und beleidigen sie.

Um die Frage „Hat Gewalt ein Geschlecht?“ drehte sich deshalb eine Fachtagung, die die Arbeitsgruppe Koedukation im Wissenschaftlichen Institut Schulpraxis (WIS) veranstaltete, rund 300 LehrerInnen nahmen daran teil. Die meisten, weil sie Erklärungen suchten für das, was sie in der Schule täglich erleben. Und weil sie den Austausch darüber brauchen, wie mit Gewalt und Sexismus umzugehen ist.

Wieviele Wege es dafür gibt, zeigten die Diskussionen des gestrigen Tages: Nach Geschlechtern getrennter Unterricht kann ebenso dazugehören wie eine verstärkte Zusammenarbeit unter LehrerInnen. Über allem steht: Wenn es einen Vorfall gibt, muß sofort gehandelt werden. „Bei dem –Witz– über die Frauenpower beispielsweise fällt bei mir sofort der geplante Unterricht flach und es wird darüber gesprochen“, sagte Hilke Emig.

Über die Notwendigkeit eines prompten Eingreifens waren sich Anita Heiliger vom Deutschen Jugendinstitut München und Uwe Sielert, Pädagogik-Dozent an der Uni Kiel, noch einig. Ansonsten unterschieden sich die ReferentInnen in vielen Punkten. „Man muß den Jungen Grenzen setzen – und zwar schnell“, formulierte Anita Heiliger ihre Position. Niemand dürfe länger akzeptieren, daß Jungen zu Männern heranwachsen, die glaubten, daß Gewalt gegen Schwächere ihre Männlichkeit ausmache. Auf die sanfte Veränderung im männlichen Selbstverständniss wollte sie dabei nicht setzen: „Mit kleinen Schritten erreichen wir nichts. Die letzten 20 Jahre haben keine Veränderung gebracht.“ Unvermindert, wenn nicht vermehrt, würden Mädchen von Jungen drangsaliert. Unvermindert werde auch den Jungen die größere Aufmerksamkeit von ErzieherInnen entgegengebracht, gewalttätiges Fehlverhalten kaum geahndet. Das sei fast logisch, weil alle Welt Gewaltausübung von Jungen und Männern für ein nahezu legitimes Mittel der Problembewältigung halte. „Damit muß Schluß sein. Ein eigenes Unterrichtsfach muß her.“

Weniger dringlich, vielleicht weil wesentlich theoretischer, sah Uwe Sielert das Geschlechterverhältnis. „Ein Umdenken hat doch schon stattgefunden“, wiegelte er ab. Es sei schon ein Fortschritt, wenn der Mann, der schlägt, wenigstens ein Unrechtsbewußtsein habe. Und das sei gewachsen. Druck gegen gewaltbereite Jungen hielt er nicht für ein sinnvolles Mittel. Schließlich seien die brutalsten Täter zuvor meist selbst Opfer von Gewalt gewesen.

Mit diesem und anderen Erklärungsversuchen allerdings strapazierte er die Geduld seines überwiegend weiblichen Publikums sichtbar. Das nämlich war bereit, parteilich für die Belange von Mädchen und Frauen einzutreten. „Wir müssen uns selbst neue Rollen nehmen und unseren Schülerinnen mehr Räume geben“, wandte sich eine Pädagogin unter Applaus an die Frauen im Raum. ede