Ein Beruf wie jeder andere auch

■ „Hydra“, Beratungsstelle für Prostituierte, kämpft um Berufsanerkennung

Rigaer Straße im Ostteil Berlins: Hinter der Tür mit dem schlangenkopfbewehrten Stöckelschuh klingeln die Telefone heiß. Frauen wollen wissen, wie man Hure wird, Freier outen sich und suchen psychologischen Rat. Die sieben Mitarbeiterinnen von „Hydra“, der einzigen etablierten Beratungsstelle für Prostituierte in Deutschland, haben gut zu tun. Die Frauen, die vom Senat bezahlt werden und durchweg eine Ausbildung als Sozialarbeiterin haben, wissen, wovon sie sprechen: Fast alle haben selbst angeschafft.

Hilfe bekommt in der Rigaer Straße auch, wer nicht mehr anschaffen gehen will. Seit 1986 läuft hier ein Umstiegsprojekt, das Frauen bei der Rückkehr oder dem Einstieg in sogenannte bürgerliche Berufe unterstützt.

„Nein“, sagt Beraterin Andrea Petsch, die „Freuden der Prostitution“ wolle man bei „Hydra“ nicht verkünden. „Aber Hure ist ein Beruf wie jeder andere – und es gibt ausreichend Bedarf für Sexdienstleistungen.“ Mindestens 5.000 Frauen, so schätzt man, gehen in Berlin dem ältesten Gewerbe der Welt nach – im Ostteil der Stadt inzwischen ebenso viele wie im Westen. Die wenigsten, so Andrea Petsch, treibe soziale Not auf den Strich. Viele kämen aus Neugier, oder weil das Brechen von Tabus und selbstbestimmte Arbeitszeiten reizen. So ist es denn neben Einstiegs- und Umstiegsberatung vor allem die Wehr gegen die Bigotterie des Staates, die die „Hydra“- Frauen in den Ring treibt. Der nämlich erkennt Prostitution nicht als Beruf an, scheut sich aber nicht, aus dem „sittenwidrigen“ Geschäft kräftig Steuern zu kassieren. Huren zahlen an das Finanzamt – von der gesetzlichen Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherung bleiben sie ausgeschlossen. Besonders schlimm, so Andrea Petsch, ist der Ausschluß von der Krankenversicherung. „Keine gesetzliche Krankenkasse versichert eine Frau unter der Berufsbezeichnung Hure.“ Sich Avon-Beraterin zu nennen ist da ein Ausweg, Hausfrau auch – beides greift aber nur, wenn sich die Frau nicht bei der Arbeit verletzt. Eine Prostituierte, die sich im Puff das Bein bricht, sieht keinen Pfennig.

Schützenhilfe erhielten die Berliner Prostituierten im Februar von Frauensenatorin Bergmann (SPD). Sie sprach sich klar für die Berufsanerkennung aus und signalisierte, man sei mit dem Bund über entsprechende Initiativen im Gespräch.

Bis das Ziel erreicht ist, macht „Hydra“ weiter und läßt sich bei der „politischen Arbeit“ einiges einfallen. Jedes halbe Jahr gibt es – organisiert in Zusammenarbeit mit anderen Huren-Organisationen – einen bundesweiten Hurenkongreß. Die von der Beratungsstelle herausgegebene Zeitung für Bar, Bordell und Bordstein, Nachtexpreß, erscheint regelmäßig. Am 2. Juni dürften sich die Berliner Liebesdienerinnen – und nicht nur die – lautstark mit ihren Forderungen zu Wort melden. Dann nämlich ist Hurentag. Tamara Bartlitz/ ADN