: Hektisches Großstadtleben ist schuld an Sucht
■ Weltnichtrauchertag: Nichtraucherbund vergibt erstmals „Stinkstiefel“
Zum ersten Mal vergibt der Berliner Nichtraucherbund in diesem Jahr den „Stinkstiefel“. Anlaß ist der heutige Weltnichtrauchertag, der unter dem Motto „Die Medien und das Rauchen: Informieren – nicht verführen“ steht. Noch lagert das streng riechende etwa 50 Zentimeter hohe Exemplar bei Doris-Kristina Barnekow, Mitglied des Nichtraucherbundes. „Geehrt“ werden soll damit Verkehrssenator Herwig Haase, weil er nicht für qualmfreie Bahnsteige bei den Nahverkehrmsmitteln gesorgt hat. Jedes Jahr soll nun mit dem miefenden Schuh jemand daran erinnert werden, daß er ungeachtet seiner Kompetenzen nicht ausreichend für rauchfreie Luft gesorgt hat.
Immerhin verpestet jeder dritte Berliner die viel gerühmte „Berliner Luft“. Mit 35 Prozent Tabakkonsumenten liegt Berlin absolut an der Spitze in Deutschland. Ähnlich dichte Dunstglocken hängen laut Statistik nur noch über Bremen mit 33,4 Prozent und Hamburg mit 33,1 Prozent. Unbesorgt tief durchatmen können hingegen die Sachsen und die Baden-Württemberger, wo jeweils weniger als ein Viertel der Bewohner rauchen. Die Ursache dafür, daß die Berliner so stark diesem Laster frönen, sieht Nichtraucherbund-Chefin Ingrid Freitag vor allem im hektischen Großstadtleben. Es spiele sich viel in Gaststätten ab, und die seien ebenso sündig wie ihre Gäste: In nur 300 der 6.000 Berliner Lokalitäten gibt es Nichtraucherecken, und diese liegen nach Erfahrung von Freitag meist ungemütlich in der Nähe der Toiletten oder werden von den Nebentischen eingenebelt.
Alles in allem sei es völlig unzureichend, was für den Schutz der Nichtraucher – die immerhin bundesweit mit 70 Prozent der Bevölkerung in der Mehrheit sind – getan werde. Dabei kommen die Raucher die Gesellschaft teuer zu stehen: Allein die Allgemeinen Ortskrankenkassen in Westdeutschland haben 1990 rund 78 Millionen Mark für die Krankenhausbehandlung von bösartigen Krebsneubildungen der Luftröhre, Bronchien und der Lunge ausgegeben. Von derzeit rund 25.000 Lungenkrebstoten im Jahr sind 85 Prozent Raucher.
Der Nichtraucherbund fordert endlich die Verabschiedung des bereits im Januar dieses Jahres eingebrachten Nichtraucherschutz- Gesetzes. Zumindest in allen öffentlichen Gebäuden, wo Raucher und Nichtraucher zusammentreffen, müsse das Qualmen ein Ende haben. Schließlich sterben nach Expertenschätzungen jedes Jahr 500 bis 1.000 Nichtraucher durch das Passivrauchen an Lungenkrebs. Kinder, die zu Hause ständig mitrauchen müssen, haben laut Bundesgesundheitsamt (BGA) ein doppelt so hohes Krebsrisiko. Zudem setzen die Raucher – 1992 wurden in Deutschland 131 Milliarden Zigaretten geraucht – im Jahr 7.500 Tonnen giftigen Kohlenwasserstoff frei. Das entspricht nach Angaben von Freitag der Menge von zehn modernen Müllverbrennungsanlagen. Marion Schierz/ADN
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