: „Händlern den Markt entziehen“
■ Kolumbiens Generalstaatsanwalt Gustavo de Greiff über die Drogenlegalisierung und die kolumbianischen Drogenkartelle
taz: Macht Sie die Legalisierung des Besitzes von Drogen in Kolumbien glücklich?
Gustavo de Greiff: Das Drogenproblem hat zwei Aspekte: den der Produktion und Verteilung und den des Konsums. Wenn nur ein Aspekt angegangen wird, bleibt das Problem bestehen. Es kann nur gelöst werden, wenn man den Drogenhändlern den Markt entzieht, wenn der Preis so niedrig ist, daß er die Produktions- und Transportkosten nicht mehr deckt. Dann ist es nicht mehr rentabel. Hier kostet ein Kilo Kokain 2.000 Dollar. Ein Händler verkauft das für 20.000 Dollar in die USA. Dort mischt es ein Großhändler mit Mehl und anderen Substanzen auf drei Kilo auf und verdient nochmals 40.000 Dollar. Solange derartig obszöne Gewinne gemacht werden können, geht das Geschäft weiter. Deswegen sage ich: Entweder man unterdrückt den Markt, speziell den der Süchtigen, die 80 Prozent der Ware konsumieren, oder man legalisiert die Drogen. Wenn sie in staatlichen Labors produziert werden, dann stellt keiner mehr diese entsetzlichen Mischungen her, die schädlicher sind als die Drogen selbst.
Das hieße eine völlige Abkehr von der bisherigen Politik.
Zehn oder fünfzehn Jahre lang wurden enorme Summen zur Drogenbekämpfung eingesetzt. Und was ist passiert? Die Anbauflächen sind gewachsen. Daß ein paar Drogenhändler eingesperrt wurden, hat den Markt nicht betroffen. Pablo Escobar wurde umgebracht, Carlos Lehder an die USA ausgeliefert, und der Markt bekommt nicht einmal Schluckauf. Ein paar hundert sitzen im Gefängnis, und ein paar tausend laufen frei herum. Wo ist der Erfolg? Wenn ein Manager feststellt, daß seine Strategie nicht funktioniert, dann ändert er sie. Genau das müssen wir tun. Ich plädiere ja nicht für eine Legalisierung über Nacht. Es müssen Erziehungskampagnen einsetzen, und ein Rehabilitierungsprogramm für Süchtige muß entwickelt werden.
Die meisten Befürworter einer Legalisierung meinen, dieser Schritt müßte mit anderen Ländern koordiniert werden. Gibt es derartige Ansätze?
Nein. Die meisten Leute wagen es nicht, das Thema anzuschneiden, weil sie feige sind oder mit den Drogenhändlern unter einer Decke stecken. Aber auf einem Treffen in Baltimore im vergangenen November klagten viele Bürgermeister aus den USA über das Drogenproblem in ihren Städten und meinten, die einzige Lösung sei die Legalisierung. Ich möchte nicht, daß man erst in vierzig Jahren, wenn ich längst tot bin, erkennt, um Himmels willen, das wäre die Lösung gewesen.
Wenn sich die Chefs des Cali- Kartells, die Brüder Rodriguez Orejuela, stellen: mit wieviel Gefängnis müssen sie rechnen?
Wer gesteht, mehr als eine Tonne Kokain exportiert zu haben, bekommt etwa zehn Jahre.
Wie unterscheiden sich denn die Kartells von Medellin und von Cali?
Das Kartell von Medellin bediente sich terroristischer Methoden, das von Cali tut das nicht. Das Cali-Kartell hat keinen greifbaren Kopf, während in Medellin Pablo Escobar die totale Kontrolle hatte. Keiner konnte in Medellin Geschäfte machen, ohne daß Escobar über sein Informantennetz Wind davon bekam. Wenn einer auf eigene Faust exportierte, schickte Escobar einen Boten und verlangte einen Anteil von 30 Prozent. Aber in Cali gibt es mehr als sechzig Organisationen, die unabhängig voneinander arbeiten, aber sich für große Operationen zusammentun. Deswegen sage ich: Das Cali- Kartell gibt es gar nicht. Sonst entsteht die Illusion, man müsse nur den Kopf abschlagen. Früher oder später werden die Herren Rodriguez Orejuela ausgeschaltet, aber der Drogenhandel wird bleiben. Deswegen ist es besser, den Leuten Anreize in Form niedrigerer Strafen – nicht Amnestie – anzubieten, damit sie sich freiwillig stellen.
Für die USA gehen Sie nicht hart genug gegen die Drogenmafia vor.
Deswegen haben sie alle Hilfe eingestellt. Das erscheint mir dumm und kontraproduktiv. Interview: Ralf Leonhard
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen