: „Das klingt noch nicht wie Ziggy Elman!“
Hochrangiges zu Rezessionszeiten: Die Konzertreihe „JazzAcrossTheBorder '94“ bietet erstmals ein konkurrenzloses Programm / Paul Brody erinnert in „Gabriel Suite“ an Bubber Miley, Jabbo Smith und Ziggy Elman ■ Von Christian Broecking
Ein ungewöhnlich schlichtes Motto: „Die moderne Trompete im Jazz“ heißt das Rahmenthema der diesjährigen JazzAcrossTheBorder-Reihe, die ab heute an fünf Freitag abenden wieder mit jeweils drei Gruppen des zeitgenössischen Jazz-Umfelds im Haus der Kulturen der Welt stattfindet.
Trotz der Rezession, von der die Berliner Jazzsubventionen derzeit über Gebühr betroffen sind, ist ein hochrangiges Programm zustandegekommen. Virtuosen der modernen Jazztrompete wie Kenny Wheeler (10.6.), Dave Douglas (10.6.) oder Graham Haynes (17.6.) treten auf, Lester Bowies saxofonender Überbläser James Carter, ein Up-Starter der laufenden Saison, wurde eingeladen (24.6.), mit dem Exil-Südafrikaner Bheki Mselekuein zollt man einen Jazztribut an die ersten freien Wahlen in dessen Heimat (3.6.) und auch das außergewöhnliche Muschelbläserensemble Steve Turres wird kommen (1.7.).
Das alles ist nicht selbstverständlich. Schon im letzten Jahr stagnierte der Festivaletat und diesmal gab es auch Kürzungen. Inflationierende Hotel- und Reisekosten treffen den verbleibenden Gagenetat merklich. Dennoch ging dem Festivalorganisator Günther Huesmann auch im vierten Jahr noch nicht der Atem aus; sein mittlerweile international renommiertes Kleinfestival mit einem repräsentativen Across-Querschnittprogramm auszustatten, das vor Ort konkurrenzlos sein will, scheint ihm nach drei nicht durchweg abendfüllenden Vorläufern jetzt endlich gelungen zu sein.
Daß sich auch die vielgescholtene Berliner Szene mit gleich mehreren hörenswerten Jazzformationen ins Festivalgeschehen across the border drängt, ist dabei wohl das eigentlich Bemerkenswerte. Die Jazzsubventionen des Kultursenats verpuffen durchaus nicht sinnlos im Cliquen-Dschungel, was drei Bands vorführen, die in den letzten zwei Jahren im Rahmen des senatsgeförderten Studioprojekts finanzielle Unterstützung erhielten. Der Weg vom Berliner Inseldasein zu den Plattenfirmen auf westdeutsch-kontinentalem Jazzfestland steht allerdings immer noch nur sehr wenigen offen.
Wie dem auch sei: Die 92er Förder-Band Zoom (10.6.) legte jüngst ihre CD-Produktion „Three Ways“ (Bhakti Records) vor, die Aufnahmen der 93er Förder- Bands, Frigg (1.7.) und Paul Brody Oktett, harren derzeit noch der Veröffentlichung. Das Paul Brody Oktett mit seiner Rubber-Funk- Mischung aus HipHop, Rock, Ellington und europäischer Moderne war bereits beim Vorjahres- Pots1000-Jazzfestival eine Entdeckung der regionalen Szene, an die eigentlich keiner so recht mehr zu glauben gewagt hatte.
Im Gespräch mit der taz erläuterte der studierte Trompeter, Komponist und Bandleader Paul Brody, 1961 in Seattle/Washington geboren, seit 1990 zwischen San Francisco und Berlin pendelnd, seine Komposition „Gabriel Suite“, die er anläßlich des diesjährigen JazzAcrossTheBorder-Mottos schrieb und heute abend mit seinem Oktett aufführen wird.
Die Helden der „Gabriel Suite“, die Brody zu Unrecht vergessen glaubt, sind Bubber Miley (1903-1932), „der Jimi Hendrix der Trompete“, Jabbo Smith (1908-1990), der seiner Mutter mit 16 Jahren bereits das damals utopisch klingende Versprechen gab und es zeitlebens hielt, mindestens 100 Dollar die Woche allein mit Musikmachen zu verdienen, und Ziggy Elman (1914-1968), der unorthodoxe Klezmer-Swinger der Benny-Goodman- und Mickey- Katz-Ära. Die Frühgeschichte der Jazztrompete hält tatsächlich wesentlich mehr bereit als Louis Armstrong und Harry James, zeigt Brody.
Er machte sich zunächst auf Spurensuche, wälzte die einschlägigen Lexika, fragte letzte Weggefährten, Don Cherry in San Francisco und Lorraine Gordon, die Besitzerin des New Yorker Jazzclubs Village Vanguard, nach Jabbo Smiths Comeback und Lebensende und kramte in der eigenen Biographie nach Elman, der zu Vaters und Großmamas Zeiten einer der Jewish Community Heroes von Philadelphia war. „Das klingt noch lange nicht wie Ziggy Elman. Du mußt noch viel üben!“ hörte Brody früher oft.
Wenn Elman einst in Goodmans Swing-Arrangements jüdische Tanzmelodien, Frehlochs, integrierte, war das nicht nur eine spaßige Novität, sondern immer auch ein Kommentar zum jüdisch- osteuropäischen Kulturerbe, das zahlreiche Jazzer seiner Zeit stark geprägt hatte. In zahlreichen Kompositionen bedient sich auch Brody der Klezmer-Tonalität. In Worte zu fassen, was sein jüdisches Erbe ausmache, fällt dem unorthodoxen Brody allerdings schwer. „Es ist wohl vor allem das Wissen darum, zu einer Gemeinschaft zu gehören, die überlebt hat, ohne einen Platz zu haben.“ Er spricht von Affinitäten in der jüdischen und afroamerikanischen Geschichte und vom Community-Spirit ehemaliger Sklaven und Juden, den Blues zu weinen.
Für sein kongeniales Berliner Oktett komponiert Brody musikalisch-episodische Kurzgeschichten, die sowohl Traditionsbezug dokumentieren als auch ganz persönliche Alltagserfahrungen und Eindrücke von der mauerlosen Stadt. „Reflect of being in Berlin“, ergänzt er. Und daß er nicht Historisches imitieren will, sondern Geschichten darüber erzählen, was die Menschen und die Musik ihm heute bedeuten.
Ab heute bis zum 1.7., jeweils freitags, um 18 Uhr, auf dem Terrassendach des Hauses der Kulturen der Welt (bei Regen dann im Großen Saal), John-Foster-Dulles-Allee 10, Tiergarten
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