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Kleine Meerjungfrau in Blau

■ 20. Hamburger Ballett-Tage mit John Neumeiers „Undine“ nach H. C. Andersen eröffnet

Eine andere Welt als ihre eigene ist es, die für Undine zum Schicksal wird. Die kleine Seejungfrau aus Andersens Märchen verliebt sich gleich bei ihrem ersten Ausflug zu den Menschen in das bunte Treiben, das sie auf einem prächtigen Schiff sieht - und in den Prinzen, dessen Geburtstag dort gerade gefeiert wird. Ihn rettet sie schon kurz darauf vor dem Ertrinken. Und weil sie ihn nicht mehr vergessen kann, verläßt sie sogar ihr Element, das Wasser, und folgt ihm.

Nach dem Märchen und zur Musik von Hans Werner Henze hat John Neumeier das Ballett Undine choreographiert, mit dem am Sonntag die 20. Hamburger Ballett-Tage eröffnet wurden. Undine ist nicht nur ein Handlungsballett über eine große, unerfüllte Sehnsucht, sondern - schöner und konkreter - auch eine Inszenierung von Bedingungen und Gegebenheiten des Tanzens selber. Neumeier variiert das traditionelle Ballettmotiv, in dem fließende, leichte Bewegungen den Sprüngen und Schrittfolgen mit Bodenkontakt entgegengesetzt sind, ideenreich und phantasievoll. Besonders eindrucksvoll tanzt Gigi Hyatt die Undine: Erst mit tuchenen Flossen an den Beinen, was sie immer wieder zu ruckartigen Bewegungen zwingt; später barfuß und bei jeder Bodenberührung wie auf Messers Schneide zusammenzuckend; am Ende tanzt sie in schwarz geschnürten Ballerinas.

Über Undine sagt Neumeier: „Es ist die Sehnsucht nach einem anderen Leben als dem, das sie kennt. Andersen beschreibt minutiös, was es alles unter Wasser nicht gibt! Es gibt Fische, aber keine Vögel. Es gibt wunderschöne Blumen, aber keine Berge und keinen Schnee. Die Weite fehlt. Aber die Tiefe ist da.“ Bedrängnis, Sehnsucht nach Weite und Kontakt zum Raum drückt auch das Bühnenbild von Yannis Kokkos aus. Blau in blau ist die Meeresunterwelt der Wasserwesen, seitlich gerahmt von durchbrochenen Wänden, nach hinten vom perspektivisch verengten Viereck geschlossen. Das Zusammenspiel von Raum und Körperausdruck und das uralte Begehren, die scharfe Trennung von zwei völlig fremden Welten aufzulösen, finden sich in ein faszinierend wandelbares Bild gefaßt. Quer über die vordere Bühneist ein Drahtseil gespannt, das sich mal senkt, mal hebt wie der Wasserspiegel, der die Grenze zwischen den Welten anzeigt. Nur dem Meer-Hexer (Gamal Gouda) ist beschert, die ersehnte Unmöglichkeit wahr zu machen - den Wechsel zwischen beiden Welten in rasantem Tempo zu vollziehen. Im Wasser tanzt er wie ein Derwisch, zu Land wie ein Kosar. Ein absolut sehenswertes Ballettkunststück zum Auftakt der Ballett-Tage in der Oper.

Dorothea Schüler

Nächste Aufführung am 17. Juni

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