: Marmeladenmusik, hitparadentauglich
■ Werner Schroeter inszenierte Puccinis „Tosca“ an der Pariser Opéra Bastille
Glanzvoll, erregend sollte das „größte Opernereignis der Saison“ (Libération) das durch allerlei musiktheatralisches Einerlei verprellte Publikum versöhnen. Opernchef Jean-Paul Cluzel vertraute deshalb nicht nur dem deutschen Film- und Theaterregisseur Werner Schroeter die Inszenierung des Opern-Schockers „Tosca“ von Puccini an, die Hitparadentauglichkeit der Partitur durfte nur von den Belcanto-Stars Placido Domingo und Carol Vaness exemplifiziert werden.
Doch vor die Kunst haben die Götter das Leben gesetzt, und das schob anläßlich der geplanten Entlassung von 136 Mitarbeitern der Opéra National de Paris dem All- Star-Projekt erst einmal einen Riegel vor. Der Premierentermin mußte dreimal verschoben werden, ein weiterer fiel dem Streik zum Opfer; im benachbarten Palais Garnier mußte gar eine Aufführungsstaffel von Rudolf Nurejews Choreographie „La Bayadère“ abgesagt werden. Bisherige Verluste: knapp 2,4 Millionen Mark.
Die Stunde der künstlerischen Wahrheit – in der zweiten Aufführung nach der Premiere – kam dann schneller als erwartet. Kaum hatte Spiros Argiris vom Pult her trotz der wuchtigen Orchestereinleitung mit dem „Scarpia“-Motiv klargestellt, daß es einen nur maßvoll spannenden, auf die Waagerechte ausgerichteten Puccini geben würde, da war es bei der Auftrittsszene Domingos als Maler Cavaradossi auch schon passiert: überirdische Klangsinnlichkeit, unerschütterlich verankert in irdischer Routine (schließlich hat Domingo diese Partie inzwischen in 180 (!) Auftritten erprobt). Von der Eingangsarie „Recondita armonia“ bis zum berühmten Todesmonolog „E lucevan le stelle“ ignoriert Domingo sujetbedingte Kausalitäten respektive Personnagen, ob nun seine verzweifelte Geliebte Tosca oder den sadistischen Polizeichef Scarpia. In der „Folterszene“ gibt er den Schreien des Gepeinigten Cavaradossi einen masochistischen Touch.
Daß die selbstinszenierte Stimmkultivierung perfekt funktionierte, dafür sorgte Werner Schroeter mit seiner grobschlächtig, wenn nicht hilflos wirkenden Regiearbeit. Wie unlängst André Engel in seiner „Salomé“-Arbeit kapitulierte auch er vor der Überdimensionalität der Bühne, die Alberte Barsacq im ersten Akt mit einem heruntergekommenen Kirchenschiff mal naiv naturalistisch, mal ausufernd abstrakt gestaltete. Schroeter koordinierte lediglich die Auf- und Abtritte der Solisten und möblierte die Bühne unter anderem durch die Nachstellung von Goyas Gemälde „Die Erschießung der Aufständischen vom 3. Mai 1808“ mit Hilfe des Chores ohne schlüssiges Konzept.
Aus dem Drama um machtpolitische Intrigen, um den (Liebes- )Kampf zwischen Cavaradossi und Tosca klinkt er sich aus. Der Henker Scarpia (überdreht grausam: Sergej Leiferkus) vergnügt sich mit einer Spielzeugguillotine, auf eine Leinwand wird am Ende des Stückes der Freiheitsgenius von der Place de la Bastille projiziert. Und wenn im zweiten Akt Tosca nach der Ermordung Scarpias den Segen für den Erstochenen vom Himmel erfleht, Kerzen um die Leiche postiert und ihm ein Kreuz auf die Brust legt, dann steht das so im Libretto. Kein Schimmer von Ironie: die Frau als religiöses, aufopfernd liebendes, kreatives (im Stück ist Tosca auch eine Opernsängerin) und von der Männergesellschaft dominiertes Wesen – bürgerliche Klischees als goutierter Status quo oder, wie es Schroeter in einem Interview mit Le Monde (25.5.94) anläßlich der Inszenierung ausdrückte: „Ich nehme keine kritische Position ein.“
Ein Wunder schien es somit, wie Carol Vaness die Titelrolle „con violenza“ und scheinbar unter Hochdruck, aber niemals hysterisch formte. Zwar waren, wie bei Domingo, ihre darstellerischen Leistungen auf ein Minimum reduziert, doch im Gegensatz zum Spanier (der überdies gerade mal in drei Aufführungen präsent ist) gelang ihr das Kunststück, die veristische Rhetorik durch ein erfülltes Pathos zu transzendieren. Der geschmähten Marmeladenmusik Puccinis verlieh die Vaness so ein deklamatorisch-psychologisches Moment, wie es bislang nur der Callas gelang – leider der einzige Lichtblick in einer ansonsten ziemlich überflüssigen Produktion. Guido Fischer
Giacomo Puccini: „Tosca“. Oper in drei Akten. Inszenierung: Werner Schroeter; Bühne/Kostüme: Alberte Barsacq; Chor und Orchester: Opéra National de Paris unter der Leitung von Spiros Argiris. Weitere Vorstellungen voraussichtlich am 8., 11., 13. und 17. Juni
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen