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Moskitonetze, Patronengurte

■ Zwei Oper-Novitäten in Bonn: „Il Guarany“ und „Gorbatschow“

Augenscheinlich war Werner Herzog die Bühne noch zu groß. Da prangten von allen Enden und Ecken Gestrüpp und Lianen, da bohrten und schlängelten sich Mammutbäume aus dem Bühnenboden durch die Szenerie, und wenn der Chor schon antreten mußte, dann bitte in voller Besetzung. Schließlich ist „Il Guarany“ des brasilianischen Komponisten Antônio Carlos Gomes (1836 bis 1896) nicht nur seit der sensationell aufgenommenen Uraufführung am 19. März 1870 an der Mailänder Scala die Kultoper in seinem Heimatland. Auch der Südamerika- Cineast und -Experte Werner Herzog nahm die großzügige Einladung des Bonner Hausherrn Giancarlo del Monaco an, die Deutsche Erstaufführung zu seinem „Fitzcarraldo“, Teil 2, zu machen. So kam diesmal der Dschungel zum Opernhaus – und das mit einer Heerschar von Indios, Banditos und der guten Familie Don Antonio de Mariz mit der von allen Seiten angebeteten Tochter Cecilia. Nicht zu vergessen natürlich Indianer Pery, ein unerschrockener Kämpfer für Recht und Treue aus der gnadenlosen Tiefe des Regenwaldes, der in seinen Anstrengungen gegen die Kolonialisten en passant der schönen „Weißen“ schöne Augen macht.

Griff in die Lex-Barker-Kiste

Um dem fernwestlichen Ambiente überplastische Authentizität zu verleihen, haben Herzog und sein Bühnenbildner Maurizio Balo fleißig in der Western-Mottenkiste à la Lex Barker gewühlt: Moskitonetze und Patronengurte, die Besatzergattinnen tragen feinsten Taft, während die Eingeborenen nur das Nötigste wie Selbstgeschnitztes und paradiesischen Federschmuck benötigen. So steht dann auch Placido Domingo in der Rolle des Pery wie ein verkrampfter Gockel, der dank seines orange-gelben Kopfgefieders hinter jedem Ast auszumachen ist – was der „Belauschungsszene“ im zweiten Akt einen weiteren Schuß unfreiwilliger Komik verleiht.

„Il Guarany“ – ein tropischer Feuertopf nach Karl Mays Hausrezepten, aufgewärmt mit ebenso belanglos zusammengewürfelten musikalischen Zutaten. Ein wenig Meyerbeer und Offenbach, ein bißchen Rossini und früher Mendelssohn, ein Schuß großflächiger Verdi – Gomes' Häppchen-Montage bleibt ohne Individualität, dramatische Wuchtungen verpuffen im melodiösen Einerlei.

Hätten nicht zumindest die Arien dem schon seit Jahrzehnten bestens aufgelegten Domingo, der wie das ganze Ensemble ohne gestische Anregungen blieb, ein Plateau für strahlenden Belcanto geboten, der Wiederbelebungsversuch von „Il Guarany“ wäre vollends Montezumas Rache zum Opfer gefallen.

Kein elegisches Reformatorenporträt

Ist das über dreistündige Werk dazu angetan, in den Kritiker-Chor „Oper des Anachronismus“ einzustimmen, zeigte sich das Musiktheater zwei Tage später dank der Uraufführung von Franz Hummels Kammeroper „Gorbatschow“ in der nahe gelegenen Bonner Kunst- und Ausstellungshalle wieder von seiner experimentellen, wenngleich risikolosen Seite. Keine Politoper im Sinne von John Adams' „Nixon in China“ in den Achtzigern haben Hummel und sein Librettist Thomas Körner erarbeitet, auch kein bewunderndes (und damit banal-heroisches) Porträt über den Reformator der ehemaligen Sowjetunion. Statt dessen werden wir Zeuge einer Probe, auf der Politik gespielt wird: geplant ist immerhin eine fünfaktige Grande Opera über den Aufstieg und Fall des Michail Gorbatschow. Und was wäre eine Oper über einen machtvollen Politiker ohne (Selbst-)Inszenierung, die „Regisseur“ (Adolf Dresen) der „Gorbatschow“-Figur (Walter Raffeiner) erst einhämmern muß. „Dein Schritt stockt“, „freundlich winken“, „Du erhebst deine Stimme“, „Du hast weiche Knie“, die Ausdrucksparameter des Schauspiels finden ihren Weg in die Wirklichkeit, der Arbeitstitel „Politik ist Theater“ benötigt gerade mal fünfzig Minuten für sein Einlösung.

Weil in diesem verqueren Spiel die an Hindemith und Prokofjew orientierte Musik eher ein Vehikel für Banalitäten war (in der Canzonetta zermalmt Gorbi voll zähflüssigem Pathos die gerade erlernte Erkenntnis „Ja, Ja, die Geschichte“), ließ Regisseur Hansgünther Heyme vergnüglichen Platz, um mit allerhand Tricks aus dem Bühnenfundus aus Michail Nachfolger Boris werden zu lassen. Ob letzterer dann auch als kreuzschleppender Büßer enden wird? Schließlich ist laut „Regisseur“ „nichts dramatischer als das Leben.“ Guido Fischer

„Il Guarany“, Oper in vier Akten von Antonio Scalvini, Musik von Antônio Carlos Gomes; Inszenierung: Werner Herzog; Bühne: Maurizio Baló; Kostüme: Franz Blumauer; Chor der Stadt Bonn; Orchester der Beethovenhalle unter der Leitung von John Neschling. Nächste Vorstellungen: 14., 20. und 24.6.

„Gorbatschow“, Oper von Thomas Körner, Musik von Franz Hummel; Inszenierung: Hansgünther Heyme; Bühne u. Kostüme: Wolf Münzer. Nächste Vorstellung: 16.6. bei den Ruhrfestspielen in Recklinghausen

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