: Magdeburg einmal ganz anders
■ Prozeß gegen Anfifas wegen Volksverhetzung / Staatsanwalt lehnt Einstellung des Verfahrens ab
Magdeburg (taz) – In Magdeburg dürfen zwar Rechtsextremisten unter den Augen der Polizei Jagd auf AusländerInnen und Punks machen – wer dagegen protestiert, muß aber mit einem Gerichtsverfahren wegen Volksverhetzung rechnen. Die Staatsanwaltschaft am Magdeburger Amtsgericht lehnte es gestern ab, ein entsprechendes Verfahren einzustellen. Darin werden der heute 21jährige Andreas H. und der 25jährige Matthias S. beschuldigt, nur wenige Tage nach den Morden in Mölln eine unangemeldete Protestdemonstration am frühen Abend des 26. November 1992 geleitet zu haben.
Volksverhetzung wird den beiden vorgeworfen, weil sie die „Menschenwürde anderer dadurch angegriffen“ hätten, „daß sie zum Haß gegen Teile der Bevölkerung aufstachelten und sie beschimpften, böswillig verächtlich machten und verleumdeten.“
Die inkriminierten Sprüche sind indessen seit Jahren bekannte Standard-Parolen bei linken Demonstrationen. Wie die Polizei selber notierte, riefen während der Demonstration, an der sich 180 bis 200 Menschen beteiligten, die Teilnehmer lediglich: „Deutsche Polizisten schützen die Faschisten“, „Aufruhr, Widerstand – es gibt kein Großdeutschland“ oder „Haut den Nazis auf die Fresse“.
Der einzige geladene Zeuge, Kriminaloberrat Strauch, war gestern nicht erschienen. Er hatte bereits am 9. Juni mitgeteilt, wegen eines Urlaubes verhindert zu sein. Die Information war offenbar im internen Behördengang steckengeblieben. Richter Kordes schlug daraufhin vor, das Verfahren wegen „Geringfügigkeit“ einzustellen. Nach dem Studium der Akten, erklärte er, habe auch er so seine Zweifel am Sinn des Verfahrens.
Staatsanwalt Strauß beharrte aber auf der Vernehmung des Polizisten und damit auch auf dem Schuldvorwurf der Volksverhetzung. Der Richter muß nun einen neuen Termin anberaumen.
Wenn die Staatsanwälte in Magdeburg nur einmal so flott gegen Skinheads und Rechtsextreme vorgingen. Bereits 1991 hatte eine Gruppe von Skins schwerste Übergriffe auf AusländerInnen und Punks bei polizeilichen Vernehmungen detailliert eingestanden. Bis zur Anklageerhebung vor wenigen Wochen vergingen dann aber drei Jahre. Wolfgang Gast
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