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Stolz darauf, special zu sein

■ Aber gegen intellektuelle Minoritäten-Ghettos. Ein Gespräch mit dem gay writer Edmund White in Paris

Mr. White, Sie schreiben nicht für eine spezielle Minderheit. Warum bezeichnen sie sich trotzdem als „gay writer“?

Edmund White: Die Situation in den Vereinigten Staaten läßt sich mit der in Europa kaum vergleichen. Wir haben dort nur Gruppen und Lobbies von Minderheiten, italienische oder chinesische Stadtviertel, jüdische Gemeinden und eben auch selbstgeschaffene Homosexuellen-„Ghettos“. Das schlägt sich auf die Literatur nieder: Wenn Sie einen Buchladen in den USA betreten, werden Sie über die Aufteilung der dort verkauften Bücher erstaunt sein; es gibt Regale für Frauenliteratur, Schwulenliteratur, Schwarzenliteratur etc. Es gibt weder „allgemeine“ Literatur noch „allgemeine“ Leser; jeder ist stolz darauf, special zu sein.

In Europa läuft das etwas kaschierter ab, man ist der Gesamtheit und deren unterstellten homogenen Interessen zumindest noch verbal verpflichtet. Die Amerikaner bilden gern Gruppen – was allerdings oft ins Lächerliche ausartet. Ich war einmal Redner bei einem lesbisch-schwulen Schriftstellerkongreß in San Francisco, an dem 2.000 SchriftstellerInnen teilnahmen. Mitten in meinem Vortrag unterbrach mich damals ziemlich empört eine Frau: „Mister White, weshalb haben Sie bis jetzt noch kein Wort über die jüdischen Lesben in Mexiko gesagt?“ Das ist natürlich eine Gefahr, daß diese Gruppen sich untereinander immer weiter differenzieren und dadurch in ihrer Bedeutung immer sekundärer werden.

Solches Cliquenbewußtsein scheint für die Gesellschaft nicht ungefährlich. Aber ist das nicht vor allem ein Problem für die Literatur? Der Blick wird auf eine Gruppe beschränkt. Stülpt man sich da nicht gegenüber der Wirklichkeit ein Kondom über?

Wahrscheinlich. Die meisten schwarzen Autoren schreiben für schwarze Leser, während einige wie James Baldwin oder Toni Morrison auch für andere Leser schrieben oder schreiben. Bei den schwulen Schriftstellern ist es wohl genauso, zum Beispiel David Leavitt („Die verlorene Sprache der Kräne“, Roman, Rowohlt Verlag, d.Red.) schreibt auch für heterosexuelle Leser.

Pardon, aber das klingt für mich ebenso absurd wie katholischer Radfahrer oder liberaler Dirigent. Hat hier nicht die zutiefst reaktionäre Auffassung, die Menschen lediglich aufgrund ihrer Sozialisation definiert, unter dem Mantel der Differenzierung überwintert?

Da ist etwas dran. Auch der Dialog zwischen den einzelnen Gruppen, die Neugier aufeinander und die Suche nach Verbindendem wird so natürlich erschwert. Dennoch ist die Zahl der angesprochenen Leser äußerst hoch. In den USA gibt es unzählige große Buchläden nur für Lesben und Schwule, mit einer Klientel, die in die Hunderttausende geht. Das ist ein riesiger Markt mit durchaus eigenen Gesetzen. Normalerweise verschwinden in den Vereinigten Staaten Bücher, die älter als sechs Monate sind, sofort aus den Bücherregalen. In „unseren“ Buchläden ist das anders: Viele Bücher werden immer wieder nachbestellt, und ich bin jedesmal erstaunt, meine Bücher, die schon vor 15 oder 20 Jahren erschienen sind, dort noch heute vorzufinden. So ist es manchmal sogar einfacher, ein gay writer statt ein straight writer zu sein. Manchmal wirkt diese lesbisch-schwule Kultur tatsächlich wie eine Nische in der amerikanischen Konsumgesellschaft. An den Universitäten gibt es entsprechende Fachbereiche, in denen man dann solche Abschlüsse wie Master oder „Doktor für homosexuelle Literatur oder Kultur“ machen kann. Aber auch das ist Amerika: Du wirst an irgendeine Universität berufen, weil du homosexuell bist, du kannst lehren und wirst gut bezahlt; sobald du aber in dieser Stadt in einem „normalen“ Viertel wohnst, wirst du das ganze Ausmaß der Ignoranz und der Diskriminierung zu spüren bekommen.

Also ist die Spezialisierung und Vernetzung der schwulen Kultur in Amerika auch Beleg für einen erzwungenen Rückzug aus der Gesellschaft, die noch immer intolerant ist?

Ja, das stimmt. Man kann dem aber entkommen; allerdings mit dem Preis, daß dann vieles im eigenen Saft schmort. Die universitären Schonräume haben da auch ihre Nachteile, obwohl sie unverzichtbar sind, wenn man sich die militante Homophobie der extremen Rechten, Ultrakonservativen und christlichen Eiferer ansieht. Vergessen Sie nicht, daß fünf von drei religiösen Amerikanern jeden Tag ihr persönliches Gespräch mit Jesus Christus führen.

Und antwortet er?

Nach ihrem Missionsdrang zu urteilen, scheint es so.

Ob da der ewige Junggeselle mit seinen männlichen Jüngern wirklich der richtige Gesprächspartner ist?

Herr Martin, das ist jetzt aber rabbinische Rabulistik, für die man Sie lynchen würde.

Wie ist die Situation in Frankreich, wo Sie seit nunmehr über zehn Jahren leben?

Völlig anders, die Franzosen lieben keine intellektuellen Minoritäten-Ghettos. Frankreich ist das Land des Universalismus. Trotz aller zentralistischen Gleichmacherei, Elitenwirtschaft und Tendenz zur fröhlichen Ignoranz merkte ich hier, inwieweit das gegenwärtige amerikanische System auch einen Verlust menschlicher Freiheit bedeutet. Ich habe eben versucht darzustellen, was es dort für immense und in Europa noch völlig unbekannte Möglichkeiten gibt, aber Sie haben recht mit Ihrer Bemerkung: Natürlich ist die Bezeichnung gay writer eine Reduzierung, die Kommunikation ziemlich selektiv werden läßt. Das kann man auch anhand meines neuen Buches, der Genet-Biographie, beobachten: In den USA findet sich dieses Buch fast nur in schwulen Buchläden und erreicht damit fast nur schwule Leser. Ein Journalist fragte neuerlich: Edmund, Sie sind HIV-positiv, weshalb schreiben Sie dann nicht weiter Ihre Bücher, sondern kümmern sich um diesen Genet, den sowieso kein Mensch kennt?

Ihre beiden Bücher „Forgetting Elena“ und „Caracole“, die keine homosexuellen Themen behandeln, wurden trotz der positiven Literaturkritiken oder des Lobes von Vladimir Nabokov keine Erfolge.

Ja, das ist das Problem in Amerika. In Frankreich liest man das Genet-Buch als das, was es ist, eine Biographie über einen der berühmtesten französischen Schriftsteller. Natürlich kann es passieren, daß man hier gefragt wird, wie man denn als Amerikaner dazu käme, über eine französische Ikone zu schreiben ... Dieses gewisse Eingenommensein von sich selbst und die Identifizierung mit Frankreich kontrastiert natürlich mit der amerikanischen Gesellschaft, wo das Gemeininteresse im Clinch der einzelnen Splittergruppen völlig unterzugehen droht.

In Deutschland gibt es zur Zeit eine Diskussion über Aids-Kultur. Es gibt „Aids-Aktivisten“ und Kritiker, die eine Ästhetisierung der Krankheit, eine Verharmlosung der Tragödie befürchten ...

Ich weiß, Fritz Raddatz hat sich dazu geäußert. Ich bin mir dessen nicht so sicher. Wenn Menschen den Tod vor Augen haben, ist es natürlich, daß sie noch eine Art Monument von sich schaffen wollen, was natürlich kitschige Stilisierungen nicht ausschließt.

Mit zum Teil verheerenden Folgen. Die Interpretation der Infizierung als Resultat eines besonders intensiven, weil gefährlichen Lebens ist ja nicht nur „verspäteter Agitprop“, wie der Journalist Tilman Krause schrieb, sondern auch eine leichtsinnige Aufforderung an die anderen, sich für ihr „spießiges“, weil nichtinfiziertes Leben zu schämen.

Mag sein, aber ich sehe diese Gefahr nicht in diesem Maße. Vielleicht ist es nicht rational, aber im Angesicht des Todes, des eigenen, empörenden Dahinsiechens, soll sich eben noch einmal alles runden und zur Botschaft fügen, damit doch nicht alles ganz umsonst gewesen ist. Ich halte das für verständlich.

Zurück zu Jean Genet. Sie haben sieben Jahre Ihres Lebens mit der Recherche zu dieser Biographie verbracht, und doch sagten Sie einmal, daß Sie niemals mit Genet hätten befreundet sein wollen ...

Ich habe es genossen, dieses Buch zu schreiben, obwohl ich manchmal fürchtete, daß mir nicht mehr genug Zeit bleibt, es zu beenden. Aber als Amerikaner lernte ich dabei sehr viel über Frankreich, und ich war auch noch nicht so weit, um den letzten Teil meiner Roman-Trilogie zu beginnen. 1989 erfuhr ich bei einem Test in Zürich, daß ich HIV-positiv bin und hatte noch nicht die Distanz, mich wieder autobiographischen Themen zuzuwenden. So war es kein Problem, meine Arbeit über Genet fortzuführen, sie hat mich im Gegenteil sogar stabilisiert.

Haben Sie Genet getroffen?

Nein, denn er mochte weder Amerikaner noch Homosexuelle. Sein spezieller Umgang mit seiner Sexualität, die er genau wie die Legenden um seine Kriminalität ganz hervorragend in seine Literatur einzufügen wußte, hat mich interessiert. Er hat sich permanent selbst inszeniert, und die Leute waren süchtig nach diesem Spektakel – es war ja auch weit mehr als das; läßt man die mißlungenen Gedichte einmal weg, hat Jean Genet in seinen Dramen und Romanen Weltliteratur geschaffen.

Hat Sie nicht Genets permanente Mystifizierung seiner Homosexualität, seine Visionen aus Blut und Sperma, provoziert? Die Welt Ihrer Romane ist doch eine ganz andere ...

Das haben anfangs alle gesagt. Viele zweifelten daran, ob diese Biographie überhaupt gelingen konnte; manche fürchteten eine akademische Zubereitung des Dichters, andere dachten, daß ich ihn nun allein auf seine Homosexualität reduzieren würde. Ich glaube, ich habe beides vermeiden können und freue mich über die positive Resonanz auf das Buch natürlich sehr.

Was sind Ihre Projekte?

Soeben ist ein Buch mit gesammelten Essays erschienen, dem ein Band mit Short Stories folgt. Ich schreibe jetzt am letzten Band meiner autobiographischen Roman- Trilogie. Er wird den Titel „The Farewell Symphony“ haben. Das Motto bezieht sich auf Haydn: die Musiker verlassen nach und nach die Bühne, nur ein einziger spielt noch. Das scheint mir ein gutes Sinnbild für das Einbrechen von Aids in unser Leben zu sein. Coming-out, Emanzipation, Abschied. Mit meinem Freund Hubert, der Aids hatte, habe ich noch vor seinem Tod ein kleines Buch über Paris machen können; er lieferte die Bilder und ich den Text. Das ist eine Hommage an diese Stadt und unsere gemeinsame Zeit hier im Marais.

Interview und Übersetzung aus dem Englischen: Marko Martin

Edmund White, geboren 1940 in Cincinatti, Studium an der New York University, Guggenheim-Stipendiat und Literaturpreisträger der American Academy of Arts and Letters. Auf deutsch sind erschienen: „Notturno für den König von Neapel“, „The Joy of Gay Sex“ (Sachbuch), „Selbstbildnis eines Jünglings“, „Und das schöne Zimmer ist leer“ sowie „Jean Genet“ (Kindler Verlag).

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